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Grün? Nur noch hinter den Ohren

Grün? Nur noch hinter den Ohren Grün? Nur noch hinter den Ohren AdobeStock #184892467 ©andri_priyadi
Nach jahrelangem Streit ändert die Partei der GRÜNEN ihre Haltung zur Homöopathie. Hier ein Bericht und Kommentar von Stefan Reis.


Dass die Partei der GRÜNEN Ende November 2025 beschlossen hat, sich künftig deutlich homöopathiekritisch zu positionieren, ist in zahlreichen Medien, von Homöopathiebefürworter*innen wie von Skeptiker*innen thematisiert worden und dürfte mittlerweile keine Neuigkeit mehr sein. Dennoch möchten wir dem Thema eine weitere Nuance beifügen, wobei wir zunächst unsere Chronistenpflicht erfüllen, dann aber noch auf die eine oder andere Ungereimtheit eingehen. Es lohnt sich also, den nachfolgenden, etwas umfangreichen Text bis zum Ende zu lesen.


Was ist geschehen?

Am 28. November 2025 machte sich die Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN für alle Befürworter*innen der Homöopathie und Anthroposophie vorerst unwählbar. Auch wem es an einer breiten Palette phytotherapeutischer Arzneimittel gelegen ist, der sollte den Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz genauestens unter die Lupe nehmen.

Nicht nur wird von der Partei von nun an das Aus der Erstattungsfähigkeit homöopathischer Leistungen gefordert. Auch der so genannte „Binnenkonsens“ soll überarbeitet werden. Dieser regelt die gegenüber anderen Medizinprodukten modifizierten Zulassungsverfahren homöopathischer, anthroposophischer und phytotherapeutischer Arzneimittel.


Was wurde nicht beschlossen?

Nicht beschlossen wurde, ein Verbot der Homöopathie zu fordern. Überhaupt sind bislang keine Bestrebungen aus der Politik bekannt, die beispielsweise den Vertrieb homöopathischer Präparate untersagen oder die Ausübung oder Inanspruchnahme von Homöopathie unter Strafe stellen wollen. Gleichwohl wären bei einer Umsetzung der GRÜNEN-Forderungen die Homöopathie, die Anthroposophie und weite Teile der Phytotherapie erheblichen Einschränkungen unterlegen. Mehr dazu in den folgenden Absätzen.


Was sind die Konsequenzen dieser Beschlüsse?

Unmittelbar ändert sich für die Anwender*innen von Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie erst einmal nichts. Die Erstattungsfähigkeit homöopathischer Leistungen durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bleibt ebenso erhalten, wie der Arzneimittelstatus potenzierter Präparate und die damit verbundene Apothekenpflicht. Dieser Zustand würde sich – Stand heute – nur dann ändern, wenn Parteien wie Die Linke (die diese Position bereits vor Längerem in ihr Parteiprofil integriert hat) oder die GRÜNEB in Regierungsverantwortung kämen und dann entweder das Bundesgesundheitsministerium übernähmen oder aber diese Positionen in Koalitionsverhandlungen durchdrücken könnten. Ein Kurswechsel der aktuellen Bundesgesundheitsministerin zeichnet sich nicht ab. Allerdings gab es beim Koalitionspartner, der SPD, erst jüngst einen, dem Grünen-Entscheid zur Homöopathie ähnlichen Anlauf, der glücklicherweise scheiterte – allerdings nur vorerst. Wenngleich uns die aktuellen Umfragewerte der Grünen keine Sorgen bescheren, können wir uns nicht gemütlich zurücklehnen.


Welche Folgen hätte ein Wegfall der Erstattungsfähigkeit?

Entsprechend des Beschlusstextes würde es der GKV untersagt, homöopathische Leistungen weiterhin zu erstatten, auch wenn dies bislang als freiwillige Satzungsleistung erbracht wurde. Wenn man den dahingehend nicht ganz eindeutigen Antragstext genau liest, dürften auch eigenfinanzierte Sondertarife dann nicht zulässig sein. Wer sich homöopathisch behandeln lassen möchte, müsste dies fürderhin aus eigener Tasche finanzieren; weniger begüterte Patient*innen müssen dann auf eine homöopathische oder anthroposophische Behandlung verzichten. Die bisher geltenden Selektivverträge der homöopathisch arbeitenden Ärzte würden unwirksam.


Was steckt hinter der geforderten „Überarbeitung des Binnenkonsens“?

In dieser Hinsicht sind Antrags- und Beschlusstext einigermaßen unkonkret. Der Binnenkonsens gewährleistet im Zulassungsverfahren ein Anhörungsrecht durch Fachkommissionen. Eine „klare Trennung“ zwischen Homöopathie und Phytotherapie existiert ja per definitionem bereits, und dass die Studienlage zu beiden Therapiemethoden nicht einheitlich ist, ist auch nicht wirklich neu. Geht es in der Konsequenz also um einen Wegfall des Arzneimittelstatus für bestimmte Präparate? Explizit gefordert wird dies nicht.


Also alles klar bei den GRÜNEN?

Nicht so ganz. Vor allem zwei Fragen bleiben vorerst offen. Erstens: Im Jahr 2020 wurde ein Beschluss des Bundesvorstands veröffentlicht, der den innerparteilichen Streit um die Homöopathie vorerst beendete. Es war dies der Versuch, einen Kompromiss zwischen den Positionen der Homöopathiebefürworter und -gegner zu formulieren. Diesen Beschluss hatte der aktuelle Bundesvorstand als so genannten „Änderungsantrag“ in die letzte BDK eingebracht. Der Vorschlag war, dass der gesamte homöopathiekritische Antrag VR-02 durch den fünf Jahre alten Beschlusstext ersetzt werden sollte. Dieser behandelt aber auch Themen, die jüngst gar nicht zur Debatte standen, etwa Forderungen zur Forschung. Was die BDK nun mehrheitlich ablehnte, war der Antrag des Bundesvorstands, diesem bestehenden Beschluss als Änderungsantrag zuzustimmen. Es wurde nicht eigentlich über den Vorstandsbeschluss aus 2020 abgestimmt. Zweitens: Bei der Recherche fiel auf, dass über den am 28.11.2025 verabschiedeten Antrag in der originalen Version (also ohne Berücksichtigung von Änderungsanträgen) abgestimmt wurde. In dieser Originalversion wird z.B. die Anthroposophie nicht erwähnt. Dieses (aus Sicht der Skeptizisten) „Versäumnis“ wurde in weiteren Änderungsanträgen „behoben“, aber auch die standen nicht zur Abstimmung am 28.11.2025. Auf dem Portal „antragsgruen“ finden sich nun aber zwei Versionen; die erste als "eingereicht", die zweite als "Beschluss (vorläufig)" gekennzeichnet. Diese zweite Version ist aber vom 29.11.2025 (also vom Folgetag) und sie enthält die Ergänzung um anthroposophische Behandlungen und Präparate. Eine weitere Abstimmung auf der BDK (etwa am 29.11.2025), die die entsprechenden Änderungen zum Gegenstand hatte, konnten wir nicht finden. Somit stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass ein Antrag als (wenn auch vorläufig) "beschlossen" gekennzeichnet wird, über den in dieser Fassung gar nicht abgestimmt wurde? Hier der Link auf die Versionen: https://antraege.gruene.de/51bdk/keine-erstattung-homoopathischer-leistungen-durch-gesetzliche-krankenk-57811/view-changes

Wir haben die sich aus diesen beiden Ungereimtheiten ergebenden Fragen auch an Bundestagsabgeordnete der Grünen gerichtet, aber bis zum 16.12.2026 keine Stellungnahme erhalten.


Fazit

Wenn man es mit der Jugendsprache ausdrücken möchte, sind die GRÜNEN von heute lost. Eine „grüne DNA“, wie es sie in den Gründerjahren einmal gab, ist nur noch in – Verzeihung – homöopathischen Dosen auffindbar. Einen solchen Sinneswandel kann man in keiner anderen Partei des Deutschen Bundestags finden. Wobei es für Parteien natürlich wichtig ist, Irrwege zu verlassen und Positionen zu hinterfragen. Wenn man sich aber jeweils nur dem Zeitgeist anpasst und den nötigen Weitblick vernachlässigt, existiert am Ende nur noch eine erratische Gruppierung ohne „Markenkern“ und ohne Identität. Es ist nicht nur die jüngste Entscheidung zur Homöopathie und es ging dabei auch nicht nur um diese: Da schwingt eine bedenkliche Haltung zur Wissenschaft mit, zur Selbstbestimmtheit der Menschen, zur Fähigkeit des/der Einzelnen, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Die Homöopathiekritik steht nur stellvertretend für eine Abkehr von ehemals „grünen“ Werten, von einem „Markenkern“, der die Partei zusammenhalten konnte und der Orientierung lieferte. Die Diskussionen um Krieg und Frieden (also Rüstung), die Geschlechterfrage, Wokeness, die Haltung zur Wissenschaft, die Energiepolitik … all das sind weitere Felder, die die Partei zu spalten und zu zerreißen in der Lage sind. Es geht um mehr als um Homöopathie. Aber die Homöopathie ist unsere Lebensgrundlage und für unsere Patient*innen oft eine echte Hilfe, und deswegen ist das keine Lappalie!

Stefan Reis
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