Eiweiß-Aversion nach Krankheit: Körper schützt sich vor Ammoniak-Toxizität
Eiweiß-Aversion nach Krankheit: Körper schützt sich vor Ammoniak-Toxizität
Eiweiß-Aversion nach Krankheit: Körper schützt sich vor Ammoniak-Toxizität
AdobeStock #468658889 ©Maks Lab
Ein Forschungsteam hat herausgefunden, dass eine Abneigung gegenüber eiweißreicher Nahrung nach akuten Erkrankungen ein physiologischer Schutzmechanismus sein könnte. Bestimmte Aminosäuren führen während der Genesung zur Bildung von schädlichem Ammoniak, dessen Entgiftungskapazität reduziert ist, wodurch eine Eiweiß-Aversion entsteht. Die Entdeckung legt nahe, dass diätetische Interventionen den Genesungsprozess unterstützen könnten. Nicht nur, dass derartige Abneigungen in der Homöopathie als Symptom bekannt sind – die neuen Erkenntnisse könnten Auswirkungen auf die Bewertung im Rahmen einer homöopathischen Behandlung haben!
Bislang ist der konkrete Prozess der Genesung nach einer akuten Erkrankung unbekannt und es ist nicht geklärt, warum manche Menschen vollständig und manche gar nicht genesen. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat nun erste Einblicke in die Physiologie der Genesung gewonnen. Demnach kann der Konsum von drei bestimmten, im Nahrungseiweiß vorkommenden Aminosäuren im Rahmen des Genesungsprozesses problematisch sein. Die von den Wissenschaftler*innen entdeckte Abneigung gegenüber Nahrungseiweiß nach akuter Erkrankung könnte demzufolge ein Schutzmechanismus des Körpers sein.
Die Studie zeigt, dass der Genesungsprozess nach akuten Krankheitszuständen durch ein stereotypisches Verhaltensmuster charakterisiert ist, das eine starke Abneigung gegenüber eiweißreicher Nahrung umfasst. Diese Beobachtung war für die Forschenden überraschend, da eiweißreiche Nahrung seit Jahren ein fixer Bestandteil des Ernährungskonzepts von kritisch kranken Patient*innen.
In einer Reihe von Experimenten im Modell konnten die Forschenden zeigen, dass nicht der Konsum von Eiweiß per se, sondern der Verzehr von drei im Nahrungseiweiß natürlich vorkommenden Aminosäuren im Rahmen des Genesungsprozesses problematisch sein kann. Diese drei Aminosäuren (Glutamin, Lysin und Threonin) führen in hoher Dosis zur Produktion eines schädlichen Moleküls (Ammoniak), das über die Leber entgiftet werden muss. Im Rahmen des Genesungsprozesses ist die Kapazität zur Entgiftung dieses Moleküls jedoch reduziert. Eine Supplementierung dieser drei Aminosäuren erwies sich in den Experimenten der Forschenden entsprechend als toxisch. Die Forschenden gehen davon aus, dass die Aversion eiweißreicher Nahrung einen physiologischen Schutzmechanismus darstellt, der den Körper vor einer Anhäufung von schädlichem Ammoniak bewahrt.
Als Grundlage der Protein-Aversion konnten die Wissenschaftler*innen ein bestimmtes Protein im Darm identifizieren, das durch lokal gebildetes Ammoniak aktiviert wird. Aufsteigende Nervenfasern übermitteln diese Information an Areale des Gehirns, deren Aktivität Brechreiz, Übelkeit und Aversion auslöst. Die durch Eiweiß beziehungsweise Ammoniak aktivierten Hirnareale seien teilweise überlappend mit jenen, die durch moderne appetithemmende Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutid stimuliert werden, erklären die Forschenden.
In einem nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler*innen testen, ob der Genesungsprozess des Menschen basierend auf den nun gewonnenen Erkenntnissen mittels diätetischer Interventionen unterstützt oder verbessert werden kann. Neben kritisch kranken Patient*innen könnten solche diätetischen Formulierungen auch für Kinder mit angeborenen Stoffwechselerkrankungen oder Menschen mit Kachexie therapeutisch relevant sein.
Kommentar Stefan Reis
Forschungsresultate wie dieses sind auch für uns Homöopathinnen und Homöopathen mitunter interessant. In diesem Fall könnten sich Auswirkungen auf die Beurteilung eines Behandlungsverlaufs ergeben: So wäre das Verschwinden einer Abneigung gegen Fleisch oder tierisches Eiweiß während der Rekonvaleszenz nicht unbedingt zu erwarten und kein Parameter für die Bestätigung einer korrekten Mittelwahl. Darüber hinaus könnte man die Abneigung als „pathognom(on)isch“ einordnen. Je nach homöopathischer Ausrichtung hat auch das womöglich Relevanz für die Bewertung des Symptoms im Rahmen einer Arzneiwahl. (Stefan Reis)
Originalpublikation
Jaschke NP, Luchsinger JR, Chen Z et al. Gut-to-brain signaling restricts dietary protein intake during recovery from catabolic states. Cell 2025 Nov 4: S0092-8674(25)01134-1. doi: 10.1016/j.cell.2025.10.005. Quelle: Pressemitteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 4.11.2025





