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Senkt Impfung gegen Gürtelrose das Risiko, an Demenz zu erkranken?

Senkt Impfung gegen Gürtelrose das Risiko, an Demenz zu erkranken? Senkt Impfung gegen Gürtelrose das Risiko, an Demenz zu erkranken? Fotolia #37645358 ©Tino Neitz
Wissenschaftler haben Gesundheitsakten aus Wales ausgewertet und dabei entdeckt, dass bei älteren Menschen, die eine Gürtelrose-Impfung erhalten hatten, die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten sieben Jahren an Demenz zu erkranken, um 20 Prozent geringer war als bei Nichtgeimpften. Besonders ausgeprägt war der Effekt bei Frauen. Allerdings wurde ein Impfstoff verwendet, der in Deutschland nicht mehr zugelassen ist.


Gleich vorab sei hier angemerkt, dass wir mit dieser Meldung nicht etwa eine Impfempfehlung aussprechen möchten. Aber der mögliche Zusammenhang war uns doch interessant genug, um diesen Beitrag im Newsletter zu bringen, zumal die Frage nach einem etwaigen Wirkmechanismus auch unter den Aspekten einer Reiz-Reaktionstherapie (wie der Homöopathie) zu beleuchten sein dürfte. Womöglich verbergen sich hier Hinweise, die Anlass für weitere Forschung im Bereich der homöopathischen Materia medica sein könnten.

Seit etwa 20 Jahren existiert eine Impfung gegen die Gürtelrose, die Menschen über 60 Jahren empfohlen wird. Schon in früheren Studien fiel auf, dass gegen Gürtelrose geimpfte Personen seltener an Demenz erkrankten. Allerdings konnten diese Studien nicht sicher ausschließen, dass die niedrigere Rate möglicherweise darauf zurückzuführen war, dass sich Menschen, die sich impfen lassen, auch ansonsten gesundheitsbewusster verhalten. Denn zum Beispiel beeinflussen auch die Ernährung oder Bewegung die Demenzrate, sie werden jedoch in Studien normalerweise nicht abgefragt. Es war daher nicht klar, ob die geringere Demenzrate bei gegen Gürtelrose Geimpften eine zufällige Korrelation oder ein tatsächlicher ursächlicher Zusammenhang war.


Impfprogramm in Wales als natürliches Experiment

An der Studie waren Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, der JGU Mainz, dem SAFE Leibniz Institut Frankfurt, der WU Wien sowie von der Stanford Universität, USA, beteiligt.

Vor zwei Jahren entdeckte einer von ihnen, Dr. Min Xie, Wissenschaftler am Heidelberger Institut für Globale Gesundheit (HIGH) am Universitätsklinikum Heidelberg und einer der Erstautoren der aktuellen Studie, dass es in Wales ein „natürliches Experiment“ gab. „In Wales begann am 1. September 2013 ein Impfprogramm, bei dem jeder, der zu diesem Zeitpunkt 79 Jahre alt war, ein Jahr lang Anspruch auf den Impfstoff gegen Gürtelrose hatte. Personen, die 78 Jahre alt waren, hatten im nächsten Jahr ein Jahr lang Anspruch darauf usw. Menschen, die am 1. September 2013 80 Jahre oder älter waren, hatten Pech – sie hatten nie Anspruch auf den Impfstoff.“

Diese Regel hatte vor allem das Ziel, den begrenzten Vorrat an Impfstoff zu rationieren. Gleichzeitig ermöglichte sie, die Wirkung des Impfstoffs isoliert zu betrachten. Denn von den 79-jährigen Walisern, die ihren 80. Geburtstag lediglich eine Woche nach dem Startdatum des Impfprogramms hatten, ließen sich fast 50 Prozent gegen Gürtelrose impfen, von den 80-Jährigen, die ihren 80. Geburtstag eine Woche vor dem Startdatum hatten, fast niemand. Dabei unterschieden sich die beiden Kohorten lediglich um eine Woche im Alter und sind daher in allen Gesundheits- und Verhaltenscharakteristiken vergleichbar. Die Wissenschaftler*innen erkannten, dass sie dadurch die Möglichkeit haben, eine kausale Beziehung zwischen dem Impfstoff und Demenz zu identifizieren. „Diese Umstände kamen einer randomisierten kontrollierten Studie so nahe wie möglich, ohne dass wir eine solche durchführen mussten“, sagt Professor Dr. Pascal Geldsetzer, der Letztautor und Studienleiter.


Weniger Demenzfälle bei Geimpften

Die beiden Erstautoren dieser Studie untersuchten daraufhin die Gesundheitsdaten von mehr als 280.000 älteren Erwachsenen aus Wales, die zu Beginn des Impfprogramms 71 bis 88 Jahre alt waren und nicht an Demenz litten. Sie konzentrierten sich bei ihrer Analyse auf Personen, die kurz vor und kurz nach der Anspruchsgrenze geboren wurden.

Die Forschenden beobachteten, dass der Impfstoff das Auftreten der Gürtelrose bei den Geimpften über einen Zeitraum von sieben Jahren um etwa 37 Prozent senkte. Nach sieben Jahren wurde bei mehr als einem von sechs älteren Erwachsenen, die nicht geimpft wurden, eine Demenz diagnostiziert. Im Gegensatz dazu entwickelte nur etwa einer von acht älteren Erwachsenen, die aufgrund ihrer Berechtigung die Gürtelrose-Impfung erhalten hatten, die Krankheit.

Die Wissenschaftler*innen prüften die Gesundheitsdaten auf mögliche Faktoren, die ihre Analyse verfälschen könnten. Doch wie erwartet waren die Personen, die kurz vor dem Start des Programms ihren 80. Geburtstag feierten, in allen Merkmalen mit denen vergleichbar, die kurz danach 80 Jahre alt wurden. So gab es beispielsweise weder einen Unterschied im Bildungsniveau, bei der Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen oder in der Häufigkeit von anderen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Krebs. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen bestand im Rückgang der Demenzdiagnosen. Die Studienautoren*innen sind überzeugt, dass aufgrund der besonderen Art und Weise, in der der Impfstoff eingeführt wurde, eine Verzerrung der Analyse sehr viel unwahrscheinlicher ist, als dies normalerweise der Fall wäre.


Schutz vor Demenz insbesondere bei Frauen

Ein wichtiges Ergebnis der Studie war, dass der Schutz vor Demenz vor allem bei Frauen auftrat. Von 100 Frauen, die im Alter von 80 Jahren geimpft wurden, erkrankten 14 an Demenz, wohingegen 19 von 100 ungeimpften Frauen an Demenz erkrankten. Dieser Rückgang könnte möglicherweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort zurückzuführen sein oder in der Art und Weise, wie sich Demenz entwickelt. Frauen haben im Durchschnitt eine stärkere Antikörperreaktion auf eine Impfung. Und es ist bekannt, dass sowohl Gürtelrose als auch Demenz bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern.


Wirkmechanismus noch unbekannt

Die Wissenschaftler geben zu, dass sie im Moment noch nicht wissen, wie der Impfstoff vor Demenz schützt. Sie vermuten, dass der Impfstoff das Immunsystem insgesamt ankurbelt und dass er speziell verhindert, dass das schlummernde Varizella-Zoster-Virus reaktiviert wird, oder über einen ganz anderen Mechanismus funktioniert. (Bedenkt man die Parallelen zwischen den Konzepten der Impfung und der Homöopathie, wäre aus unserer Sicht durchaus auch über einen entsprechenden „Wirkmechanismus“ nachzudenken.) Unbekannt ist auch, ob eine neuere Version des Impfstoffs, die nur bestimmte Proteine des Virus enthält und wirksamer vor Gürtelrose schützt, einen ähnlichen oder möglicherweise sogar größeren Schutz vor Demenz bietet. Das soll nun in einem nächsten Schritt untersucht werden.

In den vergangenen zwei Jahren hat das Team die Ergebnisse von Wales mit den Gesundheitsdaten anderer Länder, darunter England, Australien, Neuseeland und Kanada, die den Impfstoff in ähnlicher Weise eingeführt haben, wiederholt und das gleiche Ergebnis beobachtet. Den endgültigen Beweis liefern könnte eine große randomisierte, kontrollierte Studie. Dabei würden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip entweder den Impfstoff gegen Gürtelrose oder ein Placebo erhalten.


Limitationen der Studie

Andere Forschende loben die Möglichkeiten des Studiendesigns und halten die Ergebnisse für relevant, weisen aber darauf hin, dass die Erkenntnisse nur für den in Deutschland nicht mehr empfohlenen Lebendimpfstoff gelten. Außerdem lag eine Beschränkung auf die Altersgruppe der über 80-jährigen vor. Es erfolgte auch keine Differenzierung der Demenzdiagnosen, das heißt, eine Aussage dezidiert zu den einzelnen Demenzformen ist nicht möglich.

Allerdings weist zum Beispiel Prof. Dr. Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts des Universitätsklinikum Erlangen, darauf hin, dass letztes Jahr bereits eine Studie erschien bei über 65-jährigen Amerikanern [2], in der nach der Einführung des Totimpfstoff (Shingrix) gegen die Gürtelrose bei Frauen und Männern weniger Demenzen beobachtet wurden als im vorangegangenen Zeitraum, in dem der Lebendimpfstoff zum Einsatz kam. Daher könne man davon auszugehen, dass der in Deutschland empfohlene Proteinimpfstoff auch besser vor der Demenz schützt als der Lebendimpfstoff. (https://www.sciencemediacenter.de/angebote/guertelrose-impfung-als-schutz-vor-demenz-25066)

Weitere Einschätzungen von Wissenschaftler*innen zur Studie können Sie hier einsehen. 


Kommentar

Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass dies keine uneingeschränkte Empfehlung zur Herpes-zoster-Impfung unsererseits sein soll. Aber die Studie hat eine große mediale Aufmerksamkeit erhalten. Deshalb sollten Sie die Ergebnisse kennen, falls Sie von Patient*innen darauf angesprochen werden.


Originalpublikation

  1. Eyting M, Xie M, Michalik F, Heß S, Chung S, Geldsetzer P. A natural experiment on the effect of herpes zoster vaccination on dementia. Nature. 2025 Apr 2. doi: 10.1038/s41586-025-08800-x. Epub ahead of print.
  2. Taquet M, Dercon Q, Todd JA et al. The recombinant shingles vaccine is associated with lower risk of dementia. Nat Med 2024; 30: 2777–2781. https://doi.org/10.1038/s41591-024-03201-5

Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg
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