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Homöopathie ohne Heilpraktiker – undenkbar!

Helmut Schnellrieder

Wo stünde die Homöopathie heute ohne den Einsatz engagierter Heilpraktiker*innen, die die Geschichte und Methodik unserer Heilkunst erforschen und entwickeln? Diese Frage beantwortet VKHD-Beirat Helmut Schnellrieder in seinem lesenswerten Beitrag.

Die zentrale Thematik dieses Artikels soll sein, wo die Homöopathie heute stünde, hätte es nicht das Engagement aus den Reihen des Berufsstandes der Heilpraktiker*innen gegeben. Dabei sollen zwei Aspekte ausdrücklich nicht unerwähnt bleiben:

  1. Obwohl die Entwicklungen das Ergebnis kollektiver Bemühungen und Beiträge sind, kommt man nicht umhin, einzelne Kolleg*innen namentlich hervorzuheben. Die schiere Zahl macht es leider unmöglich, dass alle wichtigen Leute genannt werden können. Des Weiteren soll es nicht die Leistungen der zahlreichen, im Stillen arbeitenden Kolleg*innen schmälern, mit deren Hilfe die Methoden und Analyseansätze in den Praxen überprüft und geschärft wurden und werden.
  2. Wichtige Beiträge ärztlicher Homöopath*innen finden hier nur vereinzelt Erwähnung, was keine Abwertung der ärztlichen Homöopathie darstellt. Es ist ja im Gegenteil längst in unseren Praxisalltag integriert, dass wir im kollegialen Miteinander in einem respektvollen und teils freundschaftlichen Austausch stehen. Auch sind die durch Heilpraktiker*innen erreichten methodischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ebenso in den ärztlichen Kreisen angekommen, wie bedeutende Erkenntnisse aus den klinischen Bereichen durch die Ärzteschaft beigetragen wurden.

Betrachtet man die Anfänge der Homöopathie, so sind als erste nicht-ärztliche Homöopathen und Weggefährten Samuel Hahnemanns, Clemens von Bönninghausen (1785-1864) und Georg Heinrich Gottlieb Jahr1 (1801-1875) zu nennen. C. v. Bönninghausen war ursprünglich Jurist und erhielt später den Titel Dr. med. h. c.. GHG Jahr studierte von 1830-1832 Medizin in Bonn, wurde jedoch wegen Angehörigkeit einer Burschenschaft der Universität verwiesen, was dazu führte, dass ihm das Ablegen des Doktordiploms in Deutschland zeitlebens verwehrt blieb.

Beide waren jedoch durch und durch Mediziner, mit dem innigsten Wunsch, kranken Menschen zu helfen, wie ihn alle aufrichtig praktizierenden Homöopathen ihr Eigen nennen - seien sie nun Ärzte oder Heilpraktiker. Nur eine solche Grundhaltung verlieh ihnen das nötige Durchhaltevermögen, um derart erfolgreich arbeiten zu können und sinnvolle Entwicklungen voranzutreiben. Entwicklungen unterteile ich dabei grundsätzlich in drei Bereiche:

  1. Historisches Material sichten, bearbeiten und für den Gebrauch verfügbar machen.
  2. Bestehende Methodiken kritisch hinterfragen und verbessern.
  3. Innovative Beiträge leisten, die auf aktuellen medizinischen und klinischen Erkenntnissen beruhen und damit zu einer Weiterentwicklung der Homöopathie führen.

Wir Heilpraktiker*innen sind aber nicht nur Bewahrer der Homöopathie. Aus unseren Reihen kamen in den letzten dreißig Jahren die entscheidenden Impulse für die Erforschung verschiedener homöopathischer Methodiken. Ohne diese Leistungen wäre es wohl kaum zu einer historisch-kritischen Aufarbeitung gekommen. Womöglich wäre die Homöopathie bis heute eine Melange aus - oft falsch verstandenen - Doktrinen aus ihrer Frühzeit, Missverständnissen, Übersetzungsfehlern und Vermischungen mit weltanschaulichen und religiösen Aspekten. Mit anderen Worten: ein undurchdringliches Dickicht und letzten Endes eine wenig praktikable Therapieform.

Betrachten wir die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre, lassen sich bedeutende Veränderungen feststellen. In den 1990er Jahren gab es zweifellos eine Blütezeit, in der - weiß Gott - nicht alles Gold war, was glänzte. Die Auswirkungen spüren wir gerade heute, indem wir erkennen müssen, dass unsere tatsächliche Basis dünner ist, als die Ausbildungszahlen in den 1990er Jahren es hoffen ließen. Dies lässt auch einige der vermeintlichen Neuerungen und Errungenschaften dieser Zeit in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Seit einigen Jahren werden nun auch die Angriffe auf die Homöopathie immer schärfer, was die Arbeit in der täglichen Praxis nicht leichter macht und existenzielle Fragen und Befürchtungen aufwirft. Beide Aspekte berühren die Heilpraktiker natürlich wesentlich, aber nicht exklusiv.

Ich möchte mich jedoch auf die methodologischen Entwicklungen und auf die Protagonisten konzentrieren, denn die Kolleg*innen, die oft in verantwortlicher Position an den bedeutsamsten Fortschritten beteiligt waren, sind Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker!

Methodische Ansätze

Eine „neue Zeitrechnung” begann Anfang der 1990er Jahre mit dem Auftauchen der damals so genannten 'Bönninghausen-Methode', basierend auf dem Therapeutischen Taschenbuch Clemens von Bönninghausens. An dieser Stelle sei erwähnt, dass in dieser Zeit wichtige Klassiker der frühen deutschsprachigen Homöopathie durch den großartigen Hamburger Verleger, Bernd von der Lieth, in seinem gleichnamigen Verlag publiziert wurden. Bernd von der Lieth war ursprünglich - Heilpraktiker.

Verantwortlich für die aufwendige Erarbeitung einer praktikablen Methodik, die auf diesem Werkzeug basiert, war als Initiator Dr. med. Klaus-Henning Gypser. Allerdings war es dem Engagement des Kollegen Bernhard Möller seinerzeit zu verdanken, dass diese Methode über Seminare und Zeitschriftenartikel Eingang fand in unsere Praxen. Mit den Jahren hat sich diese Analysemethode - zumindest in Deutschland - etabliert und rangiert gleichwertig neben der so genannten „kentianischen Methode”.

Etwa zur gleichen Zeit wurden die Schriften JC Burnetts und JH Clarkes zur Behandlung chronischer Krankheiten und speziell auch Tumoren durch Mitglieder der Clemens von Bönninghausen-Gesellschaft wiederentdeckt und sukzessive ins Deutsche übersetzt. Viele werden sich vielleicht noch an den Kollegen Gerhard Risch erinnern, der in der Gründungszeit und in den ersten Jahren der CVB für deren Geschicke hauptverantwortlich war. Bis auf einige Tierärzte war und ist die CVB ein HP-Verein.

Im Jahr 2003 präsentierte eine Gruppe engagierter Heilpraktiker aus dem Raum Baden-Württemberg (Norbert Winter, Elmar W. Funk, Rolf Hinderer) auf einem Symposium die Ergebnisse einer eingehenden Analyse der Arbeitsweise Cyrus Maxwell Bogers. Ähnlich wie bei Bönninghausen, hat es wohl auch hier einen  großen Aufwand bedeutet, aus allen verstreuten Schriften Bogers dessen Arbeitsweise(n) zu extrahieren. Eine gewaltige Arbeit, in deren Gefolge auch noch alle seine wichtigen Werke ins Deutsche übersetzt wurden. Vor allem die praktische Anwendung der 'General Analysis' ist in der Szene heute vollständig etabliert.

Auch GHG Jahr erfuhr eine durch Heilpraktiker*innen entscheidend geprägte Wiederauferstehung. Namentlich genannt sei hier zunächst Ilka Sommer, die in der Biografieforschung Jahr's tolles geleistet hat. Fachlich wiederentdeckt haben ihn Peter Busch in den 1990ern und Dr. phil. Jens Ahlbrecht ab 2005. Im Jahr 2012 fand in Karlsruhe ein 'Jahr-Symposium' statt, das, wie schon die Veranstaltungen zu CM Boger, in dieser „Brutstätte” für homöopathisch-methodische Forschung abgehalten wurde.

Jens Ahlbrecht widmet sich seit einigen Jahren intensiv der Semiotik, die gerade für GHG Jahr, aber auch für dessen Zeitgenossen, ein wichtiges Mittel zum Fallverständnis darstellte. Semiotik ist die Kunst, Zeichen zu deuten, und ihr Zweck ist es, Erkenntnisse zu gewinnen hinsichtlich Krankheiten und der Verhältnisse der vorhandenen Zeichen zueinander. Ohne semiotische Kenntnisse der Medizin des 19. Jh. ist es praktisch unmöglich, mit dem Handbuch der Hauptanzeigen oder anderen von GHG Jahr erstellten Werkzeugen zu arbeiten.

Nun ist bereits das Wort 'Zeichen' gefallen. In der Homöopathie sprechen wir meistens von Symptomen, doch die Gründerväter verwendeten auch oft das Wort Zeichen und gingen mit diesen anders um, als wir es in der klassischen Homöopathie gewohnt sind. An manchen Stellen ist nicht klar, ob sie Zeichen und Symptom synonymisch oder voneinander getrennt benutzten, doch Zeichen hatte in der Medizin dieser Zeit eine tiefergehende Bedeutung als Symptom. Die unterschiedlichen Arbeitsweisen, im Vergleich zum kent'schen Repertorium, mussten also erst wieder erarbeitet werden.

Hier kann man die Leistung eines weiteren Heilpraktikers nicht genug betonen. Uwe Plate, der viele Jahre lang Tag und Nacht nichts anderes machte, als einen bereits von Samuel Hahnemann entwickelten, aber aufgrund unüberbrückbarer technischer Hindernisse nie umgesetzten Plan zu realisieren. Als Ergebnis seiner Mühen erschien 2004 das Symptomenlexikon (SL). Ein weiterer Heilpraktiker, der wesentlich zur Verbreitung des SL und zur Verfeinerung mit dessen Umgang beigetragen hat, ist Michael Kohl. Er ist heute einer der gefragtesten Dozenten zu diesem Thema.

Zuletzt sei noch auf die auf den indischen homöopathischen Arzt Praful Vijayakar zurückgehende, so genannte 'Predictive Homöopathie' hingewiesen. Auch für deren Erforschung, praktische Erprobung und Popularisierung zeichnen in Deutschland überwiegend Heilpraktiker*innen verantwortlich.

Ein interessanter Nebenaspekt ist meines Erachtens noch der Umstand, dass die meisten der erwähnten methodischen Themen eigentlich keine Neuerungen darstellen, sondern eher Wiederentdeckungen einstmals verbreiteter und - wie sich gezeigt hat - sehr effizienter Arbeitsweisen sind. Es ist schon erstaunlich, warum sie trotz ihrer praktischen Relevanz bis zu ihrer „Reanimation” fast in Vergessenheit geraten waren.

Neben diesen enormen Entwicklungen der homöopathischen Methodik sind über die Jahre einige bedeutende Fachzeitschriften erschienen, von denen einige leider wieder eingestellt werden mussten. Aber auch sie zeigen, wie lebendig die Heilpraktiker-Homöopathie ist. Wer kennt nicht das (Neue) Archiv für Homöopathik oder die Homöopathie Zeitschrift, die kürzlich mit der Homöopathie Konkret fusionierte?

Erwähnung finden soll hier zuletzt noch der HP Jörg Wichmann, der mit dem Aufbau der Datenbank zu homöopathischen Arzneimittelprüfungen 'provings.info' und zuletzt auch mit der Seite 'freewiki.eu' für wichtige Beiträge sorgte.

Fazit: Heilpraktiker*innen verbringen naturgemäß weniger Zeit damit, universitäre Lehrmedizin zu studieren, was in bestimmten Bereichen bei den meisten von uns zu Defiziten führt. Diese Wissens- und Fertigkeitslücken müssen wir oft mühsam und Schritt für Schritt ausmerzen - nicht selten mit der Hilfe ärztlicher Kollegen, die uns Einblick in ihren Praxisalltag gewähren und Fortbildungen für uns anbieten. Auf der anderen Seite hat das jedoch den Vorteil, dass HP sich in der Regel länger und intensiver mit der Homöopathie beschäftigen können. Die genannten Beispiele zeigen, welchen entscheidenden und wegweisenden Einfluss engagierte Heilpraktiker*innen auf die Methodik und Qualität der praktizierten Homöopathie hatten - und haben. Sie haben sich tief in die Materie eingearbeitet und oft jahrelange Studien betrieben. Hinsichtlich unserer homöopathischen Expertise brauchen wir uns deshalb vor niemandem zu verstecken. Im Gegenteil können wir selbstbewusst konstatieren: ohne die Heilpraktiker*innen wäre die Homöopathie heute höchst wahrscheinlich nicht auf dem Standard, auf dem sie ist.

 

1GHG Jahr einen nicht-ärztlichen Homöopathen zu nennen, ist nur zum Teil richtig. Rein formal konnte er sein Medizinstudium nicht abschließen. Er hatte sich jedoch theoretisch wie praktisch nachweislich das Wissen eines Arztes angeeignet.

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