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Nichts Neues vom Zucker-Becker

Stefan Reis

Anmerkungen zum Artikel "Nichts als Zucker? - Der Streit über Globuli" von K.B. Becker, in: Frankfurter Allgemeine Woche Nr. 2, Seite 14-19.

Dass Kim Björn Becker, seines Zeichens wohl Journalist, von der Homöopathie nichts verstanden hat, zeigt sich am deutlichsten am Schluss seines Artikels zum Titelthema der aktuellen Frankfurter Allgemeine Woche (Nr. 2 vom 03.01.2020), in dem er sich zur homöopathischen Behandlung eines Knochenbruchs äußert: "Folgt man der Logik Hahnemanns aus dem 18. Jahrhundert, dann müßte der Homöopath zur Therapie ein Mittel einsetzen, das beim Gesunden das entsprechende Krankheitsbild auslöst. Also einen Wirkstoff, der Knochen bricht."

 Damit ist eigentlich schon alles gesagt, wären da nicht weitere zweieinhalb Textseiten, auf denen Herr Becker seine "Expertise" zur Homöopathie darlegen darf. (Es ist tatsächlich ein sehr knapper Text. Dass er sich über sechs Druckseiten zieht, liegt an den großen bunten Bildern.)

Nach einer bigotten Ankündigung per Video auf facebook, und dem eine offene Frage insinuierenden Artikeltitel, mochte man noch davon ausgehen, dass der Autor hier tatsächlich eine auf Argumentenabwägung basierende Analyse zum Thema liefert. Gleichwohl - man ahnt es bereits - findet genau dies nicht statt.

In einer ersten Version meiner Replik auf Herrn Becker habe ich auf mehreren Seiten zahlreiche Belege dafür angeführt, dass er mit der überwiegenden Mehrheit seiner Aussagen Unrecht hat, habe Studien und Wissenschaftler zitiert und ähnlich Übliches.

Dann aber dachte ich mir: wozu das eigentlich? Erstens dürfte Herr Becker (als Journalist!) die von mir angeführten Quellen und Argumente kennen. Er hätte dadurch also keinen Erkenntnisgewinn, zumal bezweifelt werden darf, dass er an einer Expertise von Homöopathenseite überhaupt ein Interesse hegt. Schon in seinem Artikel kommt kein Fürsprecher mit entsprechender Expertise zu Wort. Zweitens: warum sollte ich mir die Mühe machen, meine Aussagen zu belegen, wenn Herr Becker das bei seinen auch nicht tut?! Immerhin ist Herr Becker wohl Journalist, und da dürfte ich mir ihn in dieser Hinsicht sicher als Vorbild nehmen.

Also, Herr Becker, mit Kurzem: Sie haben Unrecht. Und zwar mit so ziemlich allen Aussagen zur Homöopathie, die Sie in Ihrem Artikel formulieren.

Reicht eigentlich als Antwort. Für Interessierte sei aber das eine oder andere Detail des Artikels doch etwas eingehender erwähnt:

Dass Homöopathie nicht, beziehungsweise nicht über einen Plazeboeffekt hinaus, wirksam, und damit eine "Irrlehre" sei, sei nachgewiesen, so Herr Becker, und zwar von "der Wissenschaft", in Studien, bezeugt werde dies von "der Medizin", von Fachleuten usw. Mit anderen Worten: Homöopathie ist wirkungslose Scheintherapie, das ist eh' klar, keine Diskussion, aus die Maus.

Dazu folgende Anmerkungen:

(1) Diese Aussage ist nachweislich falsch.
Gerade Wissenschaftler und medizinisch kompetente Experten werden nicht bestreiten, dass es Studien gibt, die eine Wirksamkeit homöopathischer Arzneien deutlich oberhalb eines Plazeboniveaus belegen - zum Teil ergab sich sogar eine der herkömmlichen Medikation überlegene Wirkung. Selbstverständlich kann man über die Qualität einiger dieser Studien streiten, genau so, wie man das bei Studien zu anderen medizinischen Fragestellungen tun kann. Aber selbst bei kritischer Betrachtung bleiben etliche hochwertige Studien mit positivem Ausgang übrig. Durch die wiederholte und unbelegte Behauptung des Gegenteils wird dieses nicht wahrer.

(2) Übersehen wird in diesem Zusammenhang gerne, dass es Studien zur Wirksamkeit der Homöopathie im Allgemeinen kaum gibt.
Wenn von Homöopathiestudien die Rede ist, meint man meist solche, in denen die Wirksamkeit einer bestimmten Arznei untersucht wird, die meist in einer bestimmten Potenzierung bei einem definierten klinischen Krankheitsbild angewandt wurde. Kann im Rahmen einer solchen Studien keine Wirksamkeit eindeutig nachgewiesen werden, ist dies kein Beleg für eine grundsätzliche Unwirksamkeit von "Homöopathie". Um die Effizienz des therapeutischen Prinzips der Homöopathie zu belegen, reichen einzelne Studien selbstverständlich aus. Mehr noch: untersucht man im Rahmen von Meta-Analysen Studien, bei denen zu ein und derselben klinischen Situation verschiedene homöopathische Verordnungen zum Einsatz kamen, ist es gar nicht verwunderlich, dass nicht alle (und womöglich nicht einmal die meisten) der Studien erfolgreich verliefen. In der Homöopathie ist nun einmal die individualisierte Arzneiwahl ein entscheidender Punkt.

An mehreren Stellen lässt Herr Becker den Eindruck entstehen, die Anwender von Homöopathie (Patient*innen wie Therapeut*innen) seien wahlweise Betrüger (an sich selbst bzw. an den Patient*innen) oder aber leichtgläubige Dummköpfe. Wenn er beispielsweise die Wirkung homöopathischer Arzneien nur dann für möglich hält, "wenn der Patient sich das so einbildet", zeigt das, dass er nicht einmal den Plazeboeffekt, auf den er hier anzuspielen scheint, verstanden hat. Dieser hat mit "Einbildung" nämlich wenig zu tun.

Generell scheint er den Menschen hierzulande wenig Gesundheitskompetenz zuzutrauen, wenn er bei den "Deutschen vielfach eine schwer nachvollziehbare Skepsis gegenüber der Wissenschaft" diagnostiziert, nur um sie kurz darauf - wenigstens ein bisschen - wieder in Schutz zu nehmen, indem er klagt, "dass das Gesundheitssystem die seriöse Medizin in der Vergangenheit nicht immer klar genug von der Quacksalberei der Homöopathen abgegrenzt" habe. Wie denkt ein Herr Becker wohl über die satten 70% der deutschen Bevölkerung, die sich eine Erstattung homöopathischer Leistungen von den Krankenkassen wünschen? Alle strunzdumm, mindestens aber leicht verführbar? Der Gedanke, dass zahlreiche Menschen ihre wiedergewonnene Gesundheit einer homöopathischen Behandlung verdanken könnten und vielleicht deshalb diesen Wunsch hegen, kommt ihm wohl gar nicht erst.

Der eingangs erwähnte Verdacht, dass der Herr Becker sich mit der Homöopathie entweder gar nicht eingehend beschäftigt oder aber Vieles nicht verstanden hat, erfährt weitere Nahrung zum Beispiel dadurch, dass er den speziellen Herstellungsprozess potenzierter (!) Arzneimittel als bloße Verdünnung beschreibt. Auch die Aussage, Homöopathie "basiere" auf einer "Vermutung von geistartigen Wirkungen" ist falsch: man hat sich im frühen 19. Jahrhundert das Phänomen der offensichtlichen Wirksamkeit potenzierter Arzneien nicht anders erklären können. Nur weil man eine aus heutiger Sicht vielleicht nicht haltbare Theorie dazu hatte, macht das die Tatsache ja nicht unwahr.

Genug jetzt.

Man könnte sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass dieser Artikel keines Kommentars bedürfe, weil er nichts Neues enthält, sondern lediglich Versatzstücke aus anderen, ähnlich intendierten Arbeiten in leicht abgeänderter Komposition wiederkäut. Und im Sinne einer freien Meinungsäußerung kann Herr Becker natürlich seine Ansichten auch öffentlich vertreten. Allerdings nutzt er hier ein Medium der Journalistik, die sich beispielsweise an die "Spielregeln" ihres selbst auferlegten Pressekodex halten sollte, was ja angesichts der gesellschaftlichen Rolle, die der Journalismus spielt ("vierte Gewalt im Staate"), auch sinnvoll ist. Dieser Pressekodex sieht etwa vor, dass Sorgfalt beim Recherchieren an den Tag zu legen sei und eine wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zu erfolgen habe, um nur einmal zwei grundlegende Punkte anzuführen.

Offenbar hat Herr Becker diese publizistischen Grundsätze nicht beachtet, zumindest ist nicht zu erkennen, dass er Argumente und Tatsachen aufgesucht und abgewogen hat, bevor er sein Urteil über die Homöopathie fällte.

Verwunderlich aus meiner Sicht ist der Umstand, dass ein so offenbar einseitig (wenn überhaupt!) recherchierter, tendenziöser Artikel die Hürde der (Chef-) Redaktion hat nehmen können. Zur Sicherheit werde ich da aber mal nachfragen, denn ich kann mir bei einer so renommierten Redaktion wie der der FAZ kaum vorstellen, dass es da keine kompetenten Kontrollinstanzen gibt.
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