Warum Frauen häufiger als Männer an Alzheimer erkranken
Warum Frauen häufiger als Männer an Alzheimer erkranken
US-amerikanische Wissenschaftler*innen haben einen Hinweis auf eine molekulare Ursache der Alzheimer-Krankheit gefunden. Ein modifiziertes entzündliches Immunprotein könnte die Ursache dafür sein, dass Frauen häufiger von Alzheimer betroffen sind.
Die Forschenden fanden heraus, dass eine besonders schädliche, chemisch veränderte Form eines entzündlichen Immunproteins namens Komplement C3 in den Gehirnen von Frauen, die an der Krankheit gestorben waren, in viel höherem Maße vorhanden war, als bei daran verstorbenen Männern. Sie zeigten auch, dass Östrogen -– dessen Produktion in den Wechseljahren abnimmt – normalerweise vor der Bildung dieser Form von Komplement C3 schützt.
Neurodegenerative Erkrankungen, die durch einen fortschreitenden Verlust der Gehirnfunktion gekennzeichnet sind, resultieren in erster Linie aus dem Verlust von Synapsen und dem Absterben neuronaler Zellen im zentralen Nervensystem. Die Alzheimer-Krankheit ist charakterisiert durch die Anhäufung von fehlgefaltetem Amyloid-β-Peptid (Aβ) und neurofibrillären, hyperphosphorylierten Tau-Wirbeln im Gehirn. Sie zählt zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Ätiologie und Pathogenese der Alzheimer-Krankheit sind nur unvollständig geklärt und wirksame Medikamente fehlen. Fast zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Warum das so ist, war bisher ungeklärt.
Die Wissenschaftler gingen dieser Frage nun auf den Grund. Dabei setzen sie auf eine neue Technik. Vieles deute darauf hin, dass posttranslationale Modifikationen (PTM) von Proteinen verschiedene Signalwege regulieren. Die Wissenschaftler entdeckten in diesem Zusammenhang eine chemische Reaktion, die abläuft, wenn sich ein Stickstoffmonoxid (NO)-verwandtes Molekül fest an ein Schwefelatom (S) auf einem bestimmten Aminosäure-Baustein von Proteinen bindet und so ein modifiziertes "SNO-Protein" bildet. Proteinveränderungen durch kleine Atomcluster wie NO sind in Zellen weit verbreitet und aktivieren oder deaktivieren typischerweise die Funktionen eines Zielproteins. Aus technischen Gründen war die S-Nitrosylierung bisher schwieriger zu untersuchen als andere Proteinmodifikationen, aber die Forschenden vermuten, dass "SNO-Stürme" dieser Proteine einen wesentlichen Beitrag zu Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen leisten könnten.
Für die Studie verwendeten die Forscher*innen neuartige Methoden zum Nachweis der S-Nitrosylierung, um die veränderten Proteine in 40 menschlichen Gehirnen von Verstorbenen zu quantifizieren. Die Hälfte der Gehirne stammte von Menschen, die an Alzheimer gestorben waren, und die andere Hälfte von Menschen, die nicht daran erkrankt waren. Jede Gruppe bestand zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen.
In den untersuchten Gehirnen fanden die Wissenschaftler*innen 1.449 verschiedene Proteine, die S-nitrosyliert waren. Unter den am häufigsten auf diese Weise veränderten Proteinen befanden sich mehrere, die bereits mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wurden, darunter Komplement C3. Auffallend ist, dass der Gehalt an S-nitrosyliertem C3 (SNO-C3) in Gehirnen von Patientinnen mit Alzheimer mehr als sechsmal so hoch war wie in Gehirnen von männlichen Betroffenen.
Warum SNO-C3 in weiblichen Gehirnen mit Alzheimer häufiger vorkommt? Es gibt seit Langem Hinweise darauf, dass das weibliche Hormon Östrogen unter bestimmten Bedingungen eine schützende Wirkung auf das Gehirn haben kann. Die Forschenden stellten daher die Hypothese auf, dass Östrogen speziell das Gehirn von Frauen vor der S-Nitrosylierung von C3 schützt und dass dieser Schutz verloren geht, wenn der Östrogenspiegel in den Wechseljahren stark abfällt. Experimente mit kultivierten menschlichen Gehirnzellen unterstützten diese Hypothese und zeigten, dass SNO-C3 ansteigt, wenn der Östrogenspiegel (β-Östradiol) sinkt. Das sei auf die Aktivierung eines Enzyms zurückzuführen, das in den Gehirnzellen NO produziert.
Die Forschenden sind überzeugt, dass ihre Ergebnisse ein wichtiges Puzzleteil darstellen, mit dem die erhöhte Anfälligkeit von Frauen für Alzheimer erklärt werden kann.
Originalpublikation
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.ade0764