Mitglieder-Login

Mitglieder-Login

Bitte warten, Berechtigungsprüfung ...
×

Neuste Forschungsergebnisse zu Methylphenidat bei Kindern mit ADHS

Neuste Forschungsergebnisse zu Methylphenidat bei Kindern mit ADHS Neuste Forschungsergebnisse zu Methylphenidat bei Kindern mit ADHS AdobeStock #162170354 ©JenkoAtama
Eine umfassende Aktualisierung des Cochrane Reviews zum Nutzen und Schaden von Methylphenidat (Ritalin® u.a.) bei Kindern mit ADHS unterstreicht den dringenden Bedarf an qualitativ hochwertigen, großen, randomisierten klinischen Studien (RCTs), die längere Zeiträume erfassen. Denn trotz mehr als 200 eingeschlossener Studien und 50 Jahren Forschung fehlen Daten für eine angemessene Nutzen-Schaden-Abwägung.


Etwa fünf Prozent aller Kinder in Deutschland erhalten die Diagnose „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“; Jungen etwa doppelt so oft wie Mädchen. Eine ausgeprägte ADHS kann das Leben und den Alltag des betroffenen Kindes und seiner Eltern und Geschwister enorm beeinträchtigen. Unaufmerksames, impulsives und hyperaktives Verhalten führen bei den Betroffenen sowohl in der Schule als auch Zuhause zu Konflikten. Eine ADHS-Diagnose muss sehr sorgfältig gestellt werden.

Für Kinder mit ausgeprägter ADHS kommen Medikamente und Psychotherapie in Frage. Der am häufigsten eingesetzte Wirkstoff ist Methylphenidat (unter anderem enthalten in Ritalin®).

Nun hat eine dänische Forschungsgruppe (Cochrane Developmental, Psychosocial and Learning Problems Group) ihr Review aus dem Jahr 2015 zum Nutzen von Methylphenidat bei Kindern mit ADHS aktualisiert. Dazu konnte sie 29 zusätzliche Studien einschließen, insgesamt waren es 212 Studien mit 16.302 Kindern. Die meisten Studien waren recht klein, mit durchschnittlich 70 Teilnehmenden pro Studie, die im Mittel 9,8 Jahre (von 3-18 Jahre) alt waren. In der Mehrzahl waren die Studien kurz (häufig ein Monat), die längste lief über 14 Monate. Die mittlere Dauer betrug 28,8 Tage. Es wurden verschiedenste ADHS-Symptomskalen verwendet, anhand derer Eltern oder Lehrer*innen das Verhalten des Kindes beurteilten.

Die Autor*innen wählten für ihre Metaanalyse eine ADHS-Skala, die auf Lehrerberichten basiert. Auf Basis von 21 RCTs mit 1728 Teilnehmenden kam die Forschergruppe für diese Zielgruppe zu dem Schluss, dass Methylphenidat die Symptome moderat und spürbar lindern könnte. Die Hyperaktivität lässt nach, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und das allgemeine Verhalten der Kinder verbessern sich.

Allerdings ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aus einer Reihe von Gründen unklar. So war in den Studien beispielsweise die Verblindung nicht gesichert: Methylphenidat ist an seinen typischen Nebenwirkungen erkennbar, man merkt also, ob man den Wirkstoff oder ein Placebo eingenommen hat. Zudem berichteten einige Studien andere Endpunkte als ursprünglich geplant und die Ergebnisse zwischen den Studien waren teilweise recht uneinheitlich. Von den 212 Studien bewerteten die Studienautoren zudem 191 mit einem hohen und 21 mit einem niedrigen Verzerrungsrisiko. Berücksichtige man die Entblindung von Methylphenidat aufgrund typischer unerwünschter Ereignisse, so wiesen laut den Studienautor*innen sogar alle 212 Studien ein hohes Risiko für Verzerrungen auf. Außerdem gebe es keine Daten dazu, wie die betroffenen Kinder selbst ihre Lebensqualität beurteilen.

In den RCTs wurden zwar keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen berichtet, wohl aber nicht schwerwiegende wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust oder Bauchschmerzen. Problematisch sei zudem, dass unerwünschte Wirkungen in den Studien oft gar nicht ausreichend berichtet wurden. Auch die Langzeitverträglichkeit des Mittels sei nicht hinreichend bekannt, da Erfahrungen aus klinischen Studien nur für einen Behandlungszeitraum von bis zu 14 Monaten vorliegen. Die Beweissicherheit für alle Endpunkte sei sehr gering, so dass das tatsächliche Ausmaß der Auswirkungen unklar bleibe.

In künftigen systematischen Übersichten sollte untersucht werden, welche Untergruppen von Patienten mit ADHS am meisten und welche am wenigsten von Methylphenidat profitieren. Dies könnte mit individuellen Teilnehmerdaten geschehen, um Prädiktoren und Einflussfaktoren wie Alter, Komorbidität und ADHS-Subtypen zu untersuchen.


Anmerkung

Die obigen Daten zur Qualität der vorliegenden Studien zu Methyphenidat sind erschütternd. Dies gilt umso mehr, als Methyphenidat der am häufigsten bei ADHS eingesetzte konventionelle Wirkstoff ist. Angesichts dieser Tatsache ist die mangelhafte Aussagekraft der meisten Studien ein Armutszeugnis. Das größte Problem dürfte sein, dass man Studien nur so kurz hat laufen lassen (bzw. den Beobachtungszeitraum so gewählt bzw. verändert hat), dass sich etwaige Langzeit-Nebenwirkungen gar nicht zeigen konnten. Cui bono?
PS: wer an diese Studien ähnliche Kriterien anlegt, wie es die die Skeptizisten bei Homöopathie-Studien tun, müsste angesichts der Bedeutung von Methylphenidat in Medizin und Gesellschaft hier von einem Skandal sprechen. (Stefan Reis)


Originalpublikation

Storebø OJ, Storm MRO, Pereira Ribeiro J, Skoog M, Groth C, Callesen HE, Schaug JP, Darling Rasmussen P, Huus CL, Zwi M, Kirubakaran R, Simonsen E, Gluud C. Methylphenidate for children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Cochrane Database Syst Rev. 2023 Mar 27;3(3):CD009885. doi: 10.1002/14651858.CD009885.pub3.
Teilen auf FacebookTeilen auf Twitter