Neu entbrannter Streit um Homöopathie in Baden-Württemberg
Neu entbrannter Streit um Homöopathie in Baden-Württemberg
Gibt es in Deutschland eine Partei, die sich mit einem einfachen Trigger leichter am Nasenring durch die mediale Arena führen lässt, als Bündnis 90/Die Grünen? Wenn es um Homöopathie geht, sicher nicht!
Wenn Manfred Lucha, baden-württembergischer Gesundheitsminister, geglaubt haben sollte, dass man sich ohne großartige Widerrede öffentlich für die Homöopathie einsetzen kann, hat er sich getäuscht. Wie vorherzusehen, gab es reichlich Gegenwind in der Presse und in den sozialen Medien. So weit, so erwartbar.
Wie im letzten Newsletter bereits berichtet, hatte Lucha die Entscheidung seiner Landesärztekammer, die Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung zu streichen, kritisiert. Das an sich ist schon ein Stich in ein Wespennest (wie die Twitterati unter uns wissen). Aber Lucha ist Politiker von Bündnis90/Die Grünen und deren Zwist über die Erstattungsfähigkeit der Homöopathie aus dem Jahr 2019 dürfte den Meisten noch gut in Erinnerung sein. Und als gäbe es gerade keine drängenderen Fragen für die Partei, gab es auch (von innen wie von außen) gleich den Versuch, die Flamme von damals neu zu entfachen.
So habe sich, wie der SPIEGEL berichtete, Parteichefin Ricarda Lang von ihrem Landesverband „distanziert“ https://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-homoeopathie-debatte-ricarda-lang-distanziert-sich-von-eigenem-landesverband-a-88439033-5fb9-4850-bea9-26b1b5af22f9 , was bei genauer Betrachtung gar nicht zutrifft. Frau Lang hatte lediglich auf das Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2020 verwiesen, aus dem dann aber (nicht nur vom SPIEGEL) falsch zitiert wird, wenn dort zu lesen ist, dass nur noch Leistungen erstattet werden „sollten, »die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist«.“ Auf den Unterschied zwischen „Müssen“ und „Sollen“ muss und soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden; zum Nachlesen sei auf unseren Blog-Beitrag zum Thema verwiesen: https://www.vkhd.de/vkhd-blog/item/775-gruene-entscheidung-zur-homoeopathie
Nun wären die GRÜNEN nicht die GRÜNEN, wenn das Thema „Homöopathie“ nicht gleich wieder eine parteiinterne Diskussion triggerte. So meldeten sich einige GRÜNEN-Politiker*innen zu Wort, die die Entscheidung der Ärztekammern begrüßen, wie beispielsweise Ulrike Gote https://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-homoeopathie-streit-bricht-neu-auf-a-e141f77c-4410-49cd-a3e2-873754ca4195 , Berliner Gesundheitssenatorin, oder auch die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Wie gemeldet wird, hat Paula Piechotta, Ärztin und GRÜNEN-MdB, auf Twitter wohl ähnlich reagiert. Verifizieren können wir das leider nicht, weil der VKHD von ihr geblockt wurde.
Landespolitisch relevant könnte nun noch ein Antrag werden, der zur Landesdelegiertenkonferenz am 24./25. September 2022 eingereicht wurde. Darin wird der Entscheidung der Landesärztekammer gegenüber Zustimmung ausgesprochen. Gleichzeitig fordert man „das Landesgesundheitsministerium auf sich dem Verfahren nicht entgegenzusetzen“. Lucha hatte zuvor angekündigt, sein Ministerium solle eben diese Entscheidung prüfen.
Aber Manfred Lucha blieb mit seinem Standpunkt nicht allein auf weiter Flur. Seine Landesvorsitzende Lena Schwelling zeigte sich auf Twitter nicht nur einig mit Lucha, sondern auch mit guten Argumenten ausgestattet. So ist ihr die Studienlage ebenso bekannt, wie Zahlen etwa zur Akzeptanz der Homöopathie bei den Bürger*innen oder zum vergleichsweise geringen Umfang der Erstattungen. Insgesamt beklagte sie den „Kreuzzug gegen die Homöopathie“.
Wie der Kurznachrichtendienst (!) Twitter auf Herrn Lucha und – mehr noch – Frau Schwelling reagierte, kann man sich denken und muss vermutlich gar nicht im Detail wiedergegeben werden.
Dann aber kam doch noch eine überraschende Unterstützung für Luchas und Schwellings Position. Alan Posener, ein liberaler Journalist mit großer Reichweite, der für verschiedene bedeutende Medien schreibt, hält eigentlich gar nichts von Homöopathie. In der WELT https://www.welt.de/debatte/kommentare/article240737233/Diese-Argumente-fuer-die-Homoeopathie-sind-urliberal.html vertrat er (am 29.08.22) jedoch die Ansicht, dass Globuli „noch niemandem geschadet“ haben. Auch seien die von Kritikerseite oft kolportierten Zusammenhänge zwischen Sympathie für Homöopathie und Impfskepsis gar nicht nachweisbar, vielmehr würden die Gegner der Homöopathie „volkserzieherisch argumentieren“. Er plädiert also für die Beibehaltung sowohl der Erstattungsfähigkeit homöopathischer Leistungen, als auch der ärztlichen Weiterbildungen in Sachen Homöopathie und kommt zu dem Schluss: „Schwelling hat recht.“ Und es kam, wie es kommen musste. In einer Geschwindigkeit, mit der Fliegen im Sommer in der Küche den Fliegenfänger finden, versammelte sich (vor allem auf Twitter) die gesamte Entourage der „üblichen Verdächtigen“ und fiel über Posener her. Der aber hat – im Unterschied zu seiner Kollegin Mithu Sanyal https://taz.de/Hasskommentare-und-Homoeopathie/!5614623/ vor drei Jahren – ein dickes Fell und legt am 01.09.22 nach: „Was ich erlebe, seit ich die Homöopathie verteidigt habe“ https://www.welt.de/debatte/kommentare/article240807049/Alan-Posener-Was-ich-erlebe-seit-ich-Homoeopathie-verteidigt-habe.html . Weil dieser Kommentar unbedingt lesenswert ist, zitiere ich daraus nur sein Fazit: „Die Medizin ist zugleich mehr und weniger als Wissenschaft. Sie ist Heilkunst“.
Natürlich brachte ihm auch das wieder Prügel ein, abgesehen von einem Kommentar, der vom VKHD kam: „Herr Posener, eigentlich sind Sie (sofern mal krank) der perfekte Homöopathie-Patient: der Therapie selbst gegenüber skeptisch bis ablehnend, was einen etwaigen Plazeboeffekt minimiert. Im Behandlungsfall wüssten beide Seiten rasch, ob Homöopathie hilft oder nicht.“
Stefan Reis