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Homöopathie-Gegner haben einen Vogel

Homöopathie-Gegner haben einen Vogel Homöopathie-Gegner haben einen Vogel AdobeStock © sph #286951768
Wieder einmal wird ein Ende der Erstattungsfähigkeit der Homöopathie gefordert. Der FDP-Bundestagabgeordnete Johannes Vogel forderte per Twitter, dass Kassen die Kosten für Homöopathie-Leistungen nicht weiterhin tragen sollten. Das löste eine Welle von Reaktionen aus und sorgte dafür, dass dem Thema mal wieder mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde.


Nicht zum ersten Mal übernimmt ein Politiker den Anlauf, die Erstattungsfähigkeit der Homöopathie durch die Gesetzlichen Krankenkassen abzuschaffen. Dieses Mal ist es Johannes Vogel, FDP-Bundestagabgeordneter und immerhin stellvertretender Bundesvorsitzender und parlamentarischer Geschäftsführer. Wie heutzutage üblich, meldete Vogel sich über den Kurznachrichtendienst Twitter mit diesem Tweet zu Wort:

Tweet Johannes Vogel

Auch wenn das alles andere als eine neue Forderung ist, griffen die Medien das Thema flächendeckend auf – befinden wir uns womöglich im Sommerloch? – und so erzielte Vogel tatsächlich eine nennenswerte Reichweite. Als eine der ersten Redaktionen reagierte der Bayerische Rundfunk. Dort meldete sich dann, noch am gleichen Tag, auch die Opposition zu Wort.

Erschreckend ist, dass die reagierenden Redaktionen kaum Gegenpositionen recherchiert haben. Bei RTL konnte immerhin Dr. Michaela Geiger, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, ein kurzes Statement abgeben. Dem Ärzteblatt sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (das bekanntlich vom erklärten Homöopathie-Gegner Karl Lauterbach geführt wird), dass „Bestrebungen, die Globuli aus dem Leistungskatalog herauszunehmen“, nicht bekannt seien. Diese Nachricht irritiert insofern, als Homöopathie gar nicht zum Leistungskatalog der GKV gehört, sondern eine freiwillige Zusatzleistung zahlreicher Krankenkassen ist. In einem Ministerium mit weitreichenden Befugnissen sollte man das eigentlich wissen, oder?

Die Redaktionen hätten natürlich viele Gründe gehabt, bei Johannes Vogel kritisch nachzufragen. So zeugt seine Begründung, Homöopathie sei „nachweislich wissenschaftlich nicht wirksam“ von dem Fehlen eigener wissenschaftlicher Expertise, sonst wüsste er natürlich, dass diese Behauptung falsch ist. Dann noch das Argument der Finanzen: Vogels Tweet erweckt den Eindruck, als könne man mit der Streichung der Homöopathie-Erstattung Summen einsparen, die a) nennenswert und b) anderweitig bzw. sinnvoller verwendbar wären. Beides ist Unsinn. Als dieselbe Diskussion im Jahr 2019 schon einmal aufflammte, wies der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn darauf hin, dass von den 40 Milliarden Euro Gesamtausgaben der GKV für Gesundheitsleistungen nur etwa 20 Millionen Euro auf die Homöopathie entfallen. Dass die aktuellen Aufwendungen noch deutlich geringer ausfallen, hat soeben das Redaktionsnetzwerk Deutschland mitgeteilt. So sollen die Ausgaben der Kassen für homöopathische Arzneimittel im Jahr 2020 bei nur noch 6,7 Millionen Euro gelegen haben, während im Jahr 2016 noch 12,8 und 2019 9 Millionen Euro für diesen Teil der Homöopathiekosten anfielen. Zu diesen Zahlen eine Anmerkung: Ob der Grund für die Rückläufigkeit an einem geringeren Zuspruch zur Homöopathie liegt, oder ob nicht vielmehr sinkende Infektraten allgemein und andere Kontextfaktoren dafür verantwortlich sind, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Wem nun, wie mir, nicht ganz wohl dabei ist, Jens Spahn zum Kronzeugen der Homöopathie-Befürworter zu machen, dem sei ein weiteres, bislang wenig berücksichtigtes Argument ans Herz gelegt: wer glaubt und suggeriert oder fordert, dass die bis zu 20 Millionen Euro, die nicht für homöopathische Leistungen ausgegeben werden, für die Erstattung beispielsweise von Sehhilfen oder Zahnersatz verwendet werden können, verkennt den Umstand, dass auch Patient*innen, die Homöopathie in Anspruch nehmen, krank sind und eine Behandlung benötigen. Wenn Homöopathie beim Kassenarzt künftig keine Option mehr ist, dann erhalten Kranke eine anderweitige Therapie, womöglich mit Medikamenten, die nicht besser helfen als die Homöopathika, die mitunter aber deutlich teurer und mit potentiellen Nebenwirkungen beladen sind. Die Ausgaben für Homöopathie würden also gar nicht eingespart, sondern lediglich in andere Behandlungsmethoden umgeleitet.

Unterm Strich also kann man die „Idee“ des Johannes Vogel als Affront gegenüber kranken Menschen bezeichnen, außerdem ist sie falsch begründet und somit – wie soll man es sagen – Kokolores. Es würde mich aber keineswegs wundern, wenn Vogel sich besinnen und sein Vorhaben aufgeben würde. So etwas kommt in der Politik ja gelegentlich vor. Jüngstes Beispiel ist vielleicht Paula Piechotta, die seit der letzten Bundestagswahl für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag (und im Gesundheitsausschuss) sitzt und die vor gar nicht allzu langer Zeit (2019) eine der Wortführerinnen beim homöopathiekritischen Antrag der Partei war. Jetzt wollen sich die Grünen „der Forderung Vogels nicht anschließen“, wie das RND (s.o.) berichtet. Piechotta fordert gar: Um „die Krankenkassen zu retten, […] sollten neben der Pharmaindustrie, Kliniken sowie Ärztinnen und Ärzten natürlich auch die Homöopathieunternehmen nicht pauschal ausgespart werden“. Die Grünen wären aber nicht die Grünen, wenn sie sich bei einem Reizthema wie der Homöopathie auf eine klare Linie festlegten. Innerhalb der Partei hat sich das „Grüne Netzwerk Evidenzbasierte Politik“ gebildet und gleich zu Beginn mal eine entsprechende Forderung platziert, verfasst vom Partei-Neumitglied Natalie Grams-Nobmann. Übrigens ist auch die erwähnte Paula Piechotta an diesem Netzwerk beteiligt.

Welchen Rückhalt Forderungen wie die von Johannes Vogel (und Natalie Grams-Nobmann) aktuell in der Bevölkerung haben, zeigen (zumindest andeutungsweise) zwei Umfragen, die im Zusammenhang mit der erwähnten Meldung gestartet wurden und die sich zum heutigen Tag (18.07.22) mehrheitlich für eine Wirksamkeit der Homöopathie bzw. für die Beibehaltung der Erstattungsfähigkeit aussprechen:
https://www.rtl.de/cms/nicht-wirksam-fdp-politiker-will-erstattung-von-homoeopathie-abschaffen-4996905.html
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/135927/FDP-will-Homoeopathie-als-Kassenleistung-auf-den-Pruefstand-stellen

Stefan Reis
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