Fördern NSAID und Steroide die Chronifizierung von Kreuzschmerzen?
Fördern NSAID und Steroide die Chronifizierung von Kreuzschmerzen?
Akute Kreuzschmerzen werden häufig mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAID) und manchmal mit Steroiden behandelt. Diese setzen bei den Entzündungsreaktionen im Körper an. Das könnte jedoch die falsche Strategie sein, Kreuzschmerzen zu therapieren. So das Ergebnis einer aktuellen Studie.
Akute Kreuzschmerzen werden in der Regel mit antientzündlichen Schmerzmitteln wie NSAID und gelegentlich auch Steroiden behandelt, um eine Chronifizierung zu verhindern und die Mobilität schnell wieder sicher zu stellen. Ein Wissenschaftlerteam aus Montreal stellt diese Praxis nun in Frage. Sie konnten zeigen, dass es bei akuten Kreuzschmerzen zu einer Aktivierung von Entzündungszellen kommt, es aber nicht sinnvoll ist, den normalen Heilungsprozess dieser Entzündungen zu unterbrechen. Vielmehr könne das dazu führen, dass die Schmerzen schwieriger zu behandeln sind. Für Ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen den Mechanismus, der bei Schmerzen aktiv ist, sowohl bei Menschen, als auch an Mäusen.
In einem ersten Schritt untersuchten die Forscher*innen Blutproben von 98 Probanden, die unter akuten Kreuzschmerzen litten. Eine Hälfte der Patient*innen hatten sich bis zu einer Nachuntersuchung nach drei Monaten wieder erholt, die andere Hälfte litt weiter unter Schmerzen. Im Rahmen einer Transkriptomanalyse wurden die RNA-Moleküle aus den Zellen der Probanden sequenziert, um festzustellen, welche Gene aktuell exprimiert werden. Bei einer ersten Untersuchung gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Probanden-Gruppen. Bei der zweiten Untersuchung wurden allerdings mehr als 1.700 Gene unterschiedlich exprimiert. Hier zeigte sich, dass vor allem die neutrophilen Granulozyten betroffen waren, die ein wichtiger Bestandteil von Entzündungsreaktionen sind und zum angeborenen Immunsystem gehören. Sie werden in Akutphasen von Gewebeschädigungen aktiviert. Diese aktiven Veränderungen wurden bei den Probanden beobachtet, deren Schmerzen aufgehört hatten.
Eine weitere Analyse bestätigte, dass die Erholung von den Kreuzschmerzen tatsächlich auf einen Rückgang der Entzündungsreaktion zurückzuführen war. Diese Ergebnisse wurden in einem zweiten Patientenkollektiv mit Patienten mit kraniomandibulärer Dysfunktion bestätigt. Diese Befunde lieferten Hinweise, dass eine Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten wie NSAID oder Steroiden die langfristige Erholung von den Kreuzschmerzen behindern könnte.
Um diese Hypothese zu überprüfen, lösten die Forscher*innen bei Mäusen Schmerzen aus, indem sie den Ischiasnerv abschnürten oder eine Emulsion aus abgetöteten Erregern bzw. des Nervenwachstumsfaktors spritzten. Es zeigte sich, dass unbehandelte Mäuse sich allmählich von den Schmerzen erholten, bei einer Behandlung mit Dexamethason oder Diclofenac die Schmerzen jedoch andauerten. Die Schmerzdauer verlängerte sich auch, wenn die Mäuse mit einem Antikörper behandelt wurden, der die neutrophilen Granulozyten blockiert.
Diese tierexperimentellen Befunde bestätigen die Hypothese der Forscher*innen, dass entzündliche Reaktionen im Körper die Ausheilung des Schmerzsyndroms fördert und neutrophile Granulozyten dabei eine zentrale Rolle spielen. Die Ergebnisse werden auch durch eine Analyse der „UK Biobank“ bestätigt, einer Beobachtungsstudie von einer halben Million Erwachsenen. Sie ergab, dass Patient*innen nach Einnahme von NSAID zur Behandlung ihrer akuten Kreuzschmerzen deutlich häufiger auch noch nach zwei bis zehn Jahren an chronischen Schmerzen litten. Für die Einnahme von Paracetamol oder Antidepressiva, die nicht antientzündlich wirken, konnte kein solcher Zusammenhang beobachtet werden.
Originalpublikation
Marc Parisien, Lukas V. Lima, Concetta Dagostino et al. Acute inflammatory response via neutrophil activation protects against the development of chronic pain. Science Translational Medicine, 11 May 2022; 14 (644). DOI: 10.1126/scitranslmed.abj9954Quelle: aerzteblatt.de und Pressemitteilung der McGill-Universität