Die Hygiene-Hypothese: Das Geheimnis des Stallstaubs
Die Hygiene-Hypothese: Das Geheimnis des Stallstaubs
Der Schutz vor Asthma im Kindesalter durch landwirtschaftliche Stäube wurde in zahlreichen epidemiologischen Studien bestätigt. Die zugrunde liegenden zentralen Immunmechanismen sind jedoch noch nicht vollständig geklärt. Daher haben Forschende in einer Studie analysiert, wie Zellen des Immunsystems auf Stallstaub reagieren und so zum „schützenden Farmeffekt“ beitragen.
Die Hygiene-Hypothese ist in der Wissenschaft mittlerweile etabliert. Sie besagt, dass das kindliche Immunsystem vor allem in den Vorschuljahren durch regelmäßigen Kontakt mit bestimmten „guten“ Mikroorganismen „trainiert“ werden sollte. Das Immunsystem muss lernen, nicht übermäßig zu reagieren und keine harmlosen Substanzen anzugreifen oder sich gegen körpereigene Strukturen zu richten.
Staub aus dem Kuhstall wirkt vorbeugend
Forschende des Dr. von Haunerschen Kinderspitals des LMU Klinikums München haben nachgewiesen, dass vor allem der häufige und kontinuierliche Kontakt kleiner Kinder mit der Bauernhofumgebung, im Speziellen mit dem Staub aus dem Kuhstall, vorbeugend wirkt. Dort aufwachsende Kinder bekommen zum Beispiel deutlich weniger Asthma als solche, die in der Stadt leben. Basierend auf diesen Erkenntnissen epidemiologischer Studien erforschen Wissenschaftler*innen in ihren Labors weltweit die Grundlagen dieses Phänomens.
Was verändert sich im Immunsystem durch Stimulation mit Stallstaub?
Es steht allerdings die Frage im Raum, welche konkreten Substanzen, respektive Mikroorganismen den Schutzeffekt auslösen. Zum anderen interessiert die Forschenden, was genau sich im Immunsystem verändert, damit es keine körpereigenen oder harmlosen Strukturen angreift und eine gesunde Balance des Immunsystems hergestellt wird. Die Münchner Forschenden sind hier jetzt einen großen Schritt vorangekommen. Sie haben in einem Zellkulturansatz im Labor verschiedene Immunzellen des Blutes mit Stallstaub stimuliert.
Stallstaub beeinflusst das Immunsystem von bereits an Asthma erkrankten Kindern
Dabei konnten sie zeigen, dass bei Kindern mit manifestem Asthma bestimmte Zellen des angeborenen Immunsystems nach Stimulation mit Farmstaub (Stallstaub) reduziert werden, wohingegen Subgruppen von Zellen des erworbenen Immunsystems vermehrt sind, darunter B-Zellen und bestimmte T-Helferzell-Populationen. Außerdem sind bestimmte Moleküle reduziert, die mit Entzündung, Zelltoxizität (Fähigkeit bestimmter Substanzen oder Mikroorganismen, Zellen zu schädigen oder zu zerstören), Antigenpräsentation (zentraler Prozess bei einer Abwehrreaktion, bei dem Strukturen von Mikroorganismen bestimmten Immunzellen erkennbar gemacht werden) und speziellen T-Helferzellen in Verbindung stehen.
Antientzündlicher Effekt war bekannt
Frühere Arbeiten zeigten bereits, dass der Schutz durch Bauernhofstaub über einen antientzündlichen Effekt vermittelt wird. In einer kürzlich veröffentlichten Studie unter Beteiligung von LMU-Forschenden stellte sich heraus, dass in Stäuben aus dem Kuhstall Transportproteine, sogenannte Lipokaline, enthalten sind. Sie modulieren die Funktion des menschlichen Immunsystems. Zwei dieser Substanzen kommen in Stallstaub deutlich erhöht vor.
Erkenntnisse eröffnen neue Wege für die Therapie erkrankter Kinder
Das Ziel der Forschenden ist, die nützlichen Substanzen zu identifizieren und sie all jenen Kindern zukommen zu lassen, die nicht auf dem Bauernhof leben – in welcher Form, wird derzeit untersucht. Auch welche Zielgruppe von Kindern man so behandeln könnte, muss noch genau untersucht werden. Die Tatsache, dass die Stimulation mit Stallstaub die Immunreaktionen im Labor sogar bei erkrankten Asthmatikern modulieren kann, eröffne möglicherweise auch neue Wege für die Therapie bereits symptomatischer Kinder, hoffen die Wissenschaftler*innen.
Originalpublikation
Beerweiler CC, Salvermoser M, Theodorou J, Böck A, Sattler F, Kulig P, Tosevski V, Schaub B. Farm-dust mediated protection of childhood asthma: Mass cytometry reveals novel cellular regulation. Allergy. 2024 Nov; 79(11): 3022-3035. doi: 10.1111/all.16347
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39400913/
Quelle: Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München LMU