Gesetzentwurf des Gesundes-Herz-Gesetzes stößt auf massive Kritik
Gesetzentwurf des Gesundes-Herz-Gesetzes stößt auf massive Kritik
Gesetzentwurf des Gesundes-Herz-Gesetzes stößt auf massive Kritik
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Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Herzgesundheit veröffentlicht. Dessen Ziel sei die Stärkung der Prävention und die Reduktion der Krankheitslast bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Entwurf setzt u.a. auf die Früherkennung von Krankheitsrisiken und die verstärkte Verordnung z.B. von Statinen. Dies soll zu Lasten des Budgets der Krankenkassen für verhaltenspräventive Ansätze gehen. Dafür erntet der Gesundheitsminister Kritik und erfährt viel Gegenwind.
Der Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit“ (Gesundes Herz-Gesetz – GHG) wurde Mitte Juni veröffentlicht. Seitdem reißt die Kritik an dem Gesetz nicht ab, auch wenn alle Akteure grundsätzlich das Ziel des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), nämlich die Prävention im Herz-Kreislauf-Bereich zu stärken und die Krankheitslast zu senken, unterstützen. Der vom BMG vorgeschlagene Weg stößt dagegen auf Ablehnung und reichlich Kritik. Diesen Bedenken schließt sich der VKHD an, weil das „Gesundes Herz-Gesetz“ in seiner aktuell angedachten Form zu einseitig auf medikamentöse Prävention setzt und wichtige lebensstilbedingte Ansätze und die Eigenverantwortung der Patient*innen vernachlässigen würde.
Prävention tut not
Laut Referentenentwurf hat Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen eine der höchsten Sterblichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bis zu 70 Prozent dieser Erkrankungen würden durch modifizierbare Lebensstilfaktoren verursacht – insbesondere ungesunde Ernährung, Bewegungsarmut, Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum. Der Verminderung dieser Risikofaktoren und damit zusammenhängender Risikoerkrankungen wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck durch Unterstützung eines gesunden Lebensstils käme deshalb eine Schlüsselrolle zu. Ebenso bedürfe es einer besseren Früherkennung, um frühzeitig eine Behandlung einzuleiten. Seltsamerweise findet sich allerdings im Entwurf ein Bündel an Maßnahmen, die die Früherkennung und die (medikamentösen) Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern sollen, die aber zu Lasten der Maßnahmen gehen, die der Verminderung der genannten Risikofaktoren, die angeblich eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Leiden stehen, dienen können. Dieser offensichtliche Widerspruch sorgt derzeit für großen Unmut bei Krankenkassen, Ärztegesellschaften und Verbänden.
Die geplanten Maßnahmen im Einzelnen
Die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geplanten Maßnahmen umfassen unter anderem die gezielte Früherkennung von kardiovaskulären Risikofaktoren bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. So soll ein Anspruch auf die Durchführung einer Untersuchung zur Früherkennung einer Fettstoffwechselerkrankung mit Fokus auf Familiäre Hypercholesterinämie für Kinder und Jugendliche gesetzlich vorgesehen werden. Bei Erwachsenen soll durch Einführung von nach Alter und Risiko gestuften Leistungserweiterungen die Gesundheitsuntersuchung (GU) im Alter von 25, 35 und 50 Jahren im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiterentwickelt werden. Hier soll es für Erwachsene im Alter von 25, 35 und 50 Jahren eine extra Einladung durch die gesetzlichen Krankenkassen geben. Lauterbach plant mit dem Gesetz unter anderem auch, die Bedingungen für die Verschreibung von Statinen deutlich zu lockern. Damit könnten rund zwei Millionen Menschen mehr als bisher diese Medikamente verordnet bekommen. Das betrifft auch Kinder und Jugendliche. Das vorliegende Gesetz sieht ferner vor, dass die dadurch entstehenden Kosten zu Lasten der Leistungen im Bereich Gesundheitsförderung und Primärprävention nach § 20 Absatz 6 SGB V finanziert werden sollen. Das gleiche gilt für die medikamentöse Therapie zur Tabakentwöhnung.
Ferner sollen Disease-Management-Programme gestärkt werden. Apotheken sollen künftig unabhängig von den Check-up-Untersuchungen verstärkt in die Beratung zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und tabakassoziierten Erkrankungen eingebunden werden.
Worauf basiert die Kritik?
Die Kritiker sind sich einig, dass die Verhältnisprävention im Gesetzentwurf vernachlässigt wird, obwohl Lebensstilfaktoren und damit die Primärprävention gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (KHK) eine entscheidende Rolle spielen. Anstatt wirksamer Angebote zur Primärprävention setze das BMG auf mehr Früherkennung und auf eine Senkung der Lipidwerte, so dass Millionen Menschen mehr Medikamente nehmen werden (z.B. DGAM, Verband der privaten Krankenversicherer). So sollen unter anderem auf Grundlage umfassender Screenings bereits Kindern und Jugendlichen cholesterinsenkende Mittel verschrieben werden. Und das, obwohl die Wirksamkeit dieser Maßnahmen nicht wissenschaftlich bewiesen sei (Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek). Unstimmigkeiten zeigen sich insbesondere bei der Definition der richtigen Altersgruppe bei Kindern und Jugendlichen, welche der Gesetzesentwurf bei den 12-jährigen mit der Jugend-Vorsorgeuntersuchung J1 festmacht. Damit weicht das BMG von den Empfehlungen der Fachgesellschaften ab, die ein Screening im Vorschulalter empfehlen (https://www.vdek.com/presse/pressemitteilungen/2024/gesundes-herz-gesetz.html). Die Ausweitung der Früherkennung ist auch bei Erwachsenen umstritten: Der Nutzen eines bevölkerungsweiten Screenings gegenüber einem zielgerichteten Screening bei Risikopersonen sei nicht nachgewiesen (Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek).
Zudem wird die Festlegung durch das BMG mittels Rechtsverordnungen von den meisten Kritikern ausdrücklich abgelehnt. Es sei die ureigene Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), „Gesundheitsleistungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu bewerten und zu entscheiden, welche Leistungen in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden. (vdek). Auch der Gemeinsamer Bundesausschusses (G-BA) ist besorgt: „Die Leistungen sollen eingeführt werden, ohne dass deren Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit in einem systematischen und transparenten Verfahren überprüft wurden. Es soll den Ergebnissen von Prüfprozessen vorgegriffen werden, die beim G-BA bereits laufen: Sowohl zur Früherkennung von familiär bedingten Fettstoffwechselstörungen bei Kindern als auch zum Einsatz von Statinen. Gerade hoch potente Arzneimittel wie Statine können auch mit nicht unerheblichen Nebenwirkungen einhergehen.“ (BG-A). Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ebenfalls kritisiert die „Einführung von Früherkennungsmaßnahmen durch Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter Aushebelung des im SGB V verankerten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots und ohne Beteiligung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bewertungsausschusses (BA)“. Die stelle einen radikalen Systembruch dar.
Der VKHD beobachtet die Entwicklungen mit großer Sorge, weil hier die wichtige Primärprävention geschwächt und der Gegenfinanzierung von sekundärpräventiven Diagnose- und Medikationskosten geopfert wird. Dabei können wir die Bedeutung von Lebensfaktoren in unseren Praxen tagtäglich beobachten. Für viele Patient*innen bieten sie eine wichtige Möglichkeit in einem Medizinumfeld, dem sie sich häufig ausgesetzt fühlen, selbstwirksam etwas für ihre eigene Gesundheit zu unternehmen. Hierin sollten sie unterstützt und nicht zunehmend mit Statinen therapiert werden, die für ihr Nebenwirkungspotenzial bekannt sind. Wir werden die weitere Entwicklung beobachten und Sie auf dem Laufenden halten.
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https://www.aerzteblatt.de/n152234?rt=09fbdd0c703e0278023baabb5e7c25ec
https://www.aerztezeitung.de/Politik/DEGAM-Chef-Scherer-zum-Herzgesetz-Entwurf-ist-ein-einziges-Trauerspiel-451142.html?utm_term=2024-07-10&utm_source=2024-07-10-AEZ_NL_KARDIOLOGIE&utm_medium=email&tid=TIDP3055985XA496733B54F746D0B5955D125E434315YI4&utm_campaign=AEZ_NL_KARDIOLOGIE&utm_content=Weniger Herzrisiken in der Economy-Class?