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Rezension: F. G. Mildenberger, Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus

Rezension: F. G. Mildenberger, Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus Rezension: F. G. Mildenberger, Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus Buchcover F. G. Mildenberger Ausschnitt

In seiner „Weimarer Erklärung zur Homöopathie im Nationalsozialismus“ hat der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) 2013 angekündigt, sich der Geschichte des Zentralvereins zu stellen und die Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945 aufzuarbeiten. Der Medizinhistoriker Florian G. Mildenberger hat diese Aufgabe übernommen und nun mit seinem Buch die Ergebnisse seiner umfangreichen Forschungen zu diesem Thema vorgestellt. Birgit Weyel hat das Werk für Sie gelesen.

Das Buch ergänzt und vertieft die Forschungen zur Homöopathie im Nationalsozialismus, die Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, bereits 2013 veröffentlicht hatte.

Nicht an Menschenversuchen beteiligt

Die für den Zentralverein sicher wichtigste Erkenntnis hebt dessen Vorsitzende Cornelia Bajic schon im Geleitwort hervor: Der Verband und seine Mitglieder waren nicht an Menschenversuchen in Konzentrationslagern beteiligt. Mildenberger legt in seinen Ausführungen dar, dass es im KZ Buchenwald und im KZ Dachau zwar Versuche mit Phytotherapeutika ebenso wie mit homöopathisch zubereiteten Mitteln wie Schüsslersalzen und Spenglersan gegeben hat. Es hätten jedoch auf der Basis der „reinen“ Hahnemannischen Lehre, die der Zentralverein vertrat, keine „Menschenversuche und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ stattgefunden.

Im Kontext des Zeitgeistes

Gleichwohl spielte der Zentralverein in der Zeit des Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle, indem er sich den Machthabern anbiederte, weil er sich davon eine Aufwertung der Homöopathie erhoffte. 
Wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte, beleuchtet Mildenberger zunächst mit einem Blick auf die 20er Jahre. Misserfolge im Kampf gegen Krebs und Tuberkulose hatten die sogenannte "Schulmedizin" in eine „tiefe Sinnkrise“ gestürzt. Dies führte dazu, dass sich einige Ärzte wieder mehr mit naturheilkundlichen Therapien und auch mit der bis dahin wenig beachteten und als „Irrlehre“ bezeichneten Homöopathie auseinandersetzten. Sie forderten von ihren Kollegen, das Misstrauen gegenüber den homöopathisch arbeitenden Ärzten abzubauen. Schon Mitte der 20er Jahre band das vom Hippokrates-Verlag herausgegebene „Ärztliche Volksbuch“ die Homöopathie in das gesamte Spektrum der komplementären Heilweisen ein und entwickelte die Idee einer „größeren neuen Heilkunde“. Die Homöopathie war in dieser Vorstellung einer Reformmedizin nichts Eigenständiges mehr. Damit nahm der Verlag die Entwicklung zu einer „Neuen Deutschen Heilkunde“ vorweg, wie sie nach 1933 betrieben wurde.

Anbiederung an Nationalsozialisten und keine Unterstützung für jüdische Kollegen

Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen und der Vorsitzende des NS-Ärztebundes Gerhard Wagner forderte, die biologischen Heilverfahren zu fördern, biederte sich der Zentralverein den neuen Machthabern unverzüglich an. Schriftführer Hans Wapler versicherte im Namen des Zentralvereins, man stehe einem „Eingliederungsplan“ offen gegenüber. Die homöopathischen Ärzte bekundeten nicht nur ihre ideologische Verbundenheit mit dem neuen Regime, sondern auch ihre „Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der Allopathie zur Errichtung einer neuen, alle Strömungen umfassenden Medizin“. Zu den Repressalien gegenüber seinen jüdischen Mitgliedern äußerte sich der Zentralverein dagegen nicht. Der Vorstand schwieg, als das Verbot der Kooperation zwischen jüdischen und nichtjüdischen Ärzten in Kraft trat und kommentierte auch nicht den massenhaften Entzug von Kassenzulassungen jüdischer Kollegen im Herbst 1933.

Vorläufer einer „integrativen“ Medizin?

1934 trat der Zentralverein bereitwillig der neu gegründeten „Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde“ bei. Ziel dieser Arbeitsgemeinschaft war die Zusammenführung verschiedenster Methoden der Komplementärmedizin mit der "Schulmedizin" zu einer „psychosomatisch aufgeladenen Ganzheitsmedizin“. Dem Zentralverein war bewusst, dass die Homöopathie zu Gunsten dieses „größeren Ganzen“ auf ihre Eigenständigkeit verzichten müsse. Gleichwohl erhoffte sich das Vorstandsmitglied Hans Wapler, die Homöopathie „als gleichberechtigte Disziplin in die Lehrmedizin“ integrieren zu können. Dagegen schwebte der Reichsärzteführung eher eine „um einige therapeutische Modelle angereicherte - Schulmedizin -“ vor, um die Volksgesundheit zu wahren.

Abhängig von der Gunst Einzelner

Zwar wurde Anfang 1937 die „Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde“ überraschend aufgelöst, dennoch hatten die Nationalsozialisten die Homöopathie noch nicht abgeschrieben. Im August 1937 eröffnete Rudolf Heß, der „Stellvertreter des Führers“ und bekennender Anhänger alternativer Heilweisen, den Internationalen Homöopathischen Kongress in Berlin. Hanns Rabe, der Vorsitzende des Zentralvereins, erkannte allerdings, dass die Homöopathie „abhängig war von der launigen Gunst einiger mächtiger Vertreter des nationalsozialistischen Machtapparates“. Und tatsächlich fehlten der Homöopathie ab Anfang 1939 nach dem Tod des Reichsärzteführers Gerhard Wagner und spätestens seit der Gefangennahme von Rudolf Heß in England 1941 zwei ihrer wichtigsten Fürsprecher. 

Anerkennung der Homöopathie bleibt aus

Ab 1936 gab es in verschiedenen Krankenhäusern Versuchsreihen, die die Effektivität homöopathischer Arzneien beweisen sollten. Darunter waren auch die Arzneimittelversuche unter der Leitung des homöopathischen Arztes Fritz Donner am Virchow-Klinikum in Berlin. Die Versuche brachten jedoch nicht die erwünschten Ergebnisse, die Homöopathie konnte nicht zur Kostensenkung im Gesundheitswesen beitragen, wodurch ihr letztendlich eine Anerkennung vorenthalten blieb.

Florian Mildenberger zeichnet all diese Vorgänge anhand unzähliger, teilweise bisher unveröffentlichter Quellen nach. Für sein Forschungsprojekt konnte er auch auf Briefe und andere Dokumente aus privaten Sammlungen von Familien homöopathischer Ärzte zurückgreifen. Die Fülle an Informationen ist sicherlich dem Ziel lückenloser Aufklärung geschuldet, erschwert es dem Leser jedoch teilweise, den Überblick zu behalten. Wünschenswert wäre ein Anhang mit Kurzbiographien der im Text genannten zahlreichen Akteure gewesen. 

Fazit

Nichtsdestotrotz ist dies ein notwendiges und lange überfälliges Buch, das einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Homöopathie leistet und die Verstrickungen des Zentralvereins homöopathischer Ärzte in die Pläne einer nationalsozialistischen Gesundheitspolitik aufzeigt. Der Autor geht davon aus, dass der Zentralverein nach dem Krieg durch sein passives Verhalten und das Versäumnis einer Aufarbeitung seiner Geschichte „einer rassenhygienisch aufgeladenen Umdeutung der Homöopathie Vorschub“ geleistet habe. Für die Gegner der Homöopathie stellten die „Verwicklungen in den Nationalsozialismus einen beliebten Ansatz dar“, die Homöopathie in ein schlechtes Licht zu rücken. Und so hofft Mildenberger zu Recht, dass dieses Buch zur Verwissenschaftlichung und Entemotionalisierung der Debatten beitragen möge.

Dr. Birgit Weyel


Florian G. Mildenberger, Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus. 
Bestandsaufnahme, Kritik, Interpretation. Wallstein Verlag 2016, 16,00 Euro.

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