Mitglieder-Login

Mitglieder-Login

Bitte warten, Berechtigungsprüfung ...
×

Für Sie gelesen: Anousch Mueller - Unheilpraktiker. Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen

Für Sie gelesen: Anousch Mueller -  Unheilpraktiker. Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen Für Sie gelesen: Anousch Mueller - Unheilpraktiker. Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen Fotolia #61476803 © Thomas Bethge

Nach der Homöopathie-Konvertitin Natalie Grams hat nun die nächste „Insiderin“ ein Enthüllungsbuch auf den Markt geworfen. Sicher werden Sie früher oder später von Ihren Patienten darauf angesprochen. Birgit Weyel hat es für Sie gelesen und ihr Urteil hier für Sie zusammengefasst.

In Anlehnung an die Veröffentlichung von Natalie Grams könnte das neue Buch auch heißen „Heilpraktiker neu gedacht“. Vermutlich aus Gründen der Absatzförderung hat die Autorin Anousch Mueller jedoch einen anderen, wesentlich mehr Aufmerksamkeit heischenden Titel gewählt: „Unheilpraktiker – Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen“.

Der Titel impliziert, dass Heilpraktiker bewusst die Anliegen ihrer Patienten missachten und deren Gesundheit aufs Spiel setzen. Ganz so heftig wird dieser Vorwurf im Buch nicht wiederholt. Mueller räumt sogar an mehreren Stellen ein, dass es auch Heilpraktiker gebe, die verantwortungsvoll arbeiteten, sich ihrer Grenzen bewusst seien, über eine umfangreiche "schulmedizinische" Ausbildung verfügten und sich auf ihrem Fachgebiet weiterbildeten. Gerade jene sollten ihrer Ansicht nach an einer Reformierung des Berufsbildes interessiert sein, um nicht mit „zwielichtigen Gruppierungen“ in Verbindung gebracht zu werden. 

Die Autorin formuliert vor allem die beiden folgenden Kritikpunkte:

  • Es gibt keine gesetzliche Regelung des Berufs und der Ausbildung von Heilpraktikern. Die Überprüfung von Heilpraktikern durch die Gesundheitsämter sagt nichts über deren Qualifizierung aus. Das ist den wenigsten Patienten bekannt oder bewusst.
  • Die Wirksamkeit so gut wie aller Verfahren der Naturheilkunde, die Heilpraktiker anwenden, ist wissenschaftlich nicht belegt. Es handelt sich um esoterische Therapien beziehungsweise „Paramedizin“. Auch das ist den meisten Patienten nicht bewusst.

Schlechte Erfahrung im Rahmen der Ausbildung

Wie aber kam es überhaupt zu diesem Buch? Die Journalistin Anousch Mueller litt unter unerklärlicher Atemnot, ließ sich von einem Heilpraktiker behandeln, das tat ihr gut und sie wollte bald selbst Heilpraktikerin werden. In der Schule, die sie dann besuchte, hat sie anscheinend einige sehr zweifelhafte Erlebnisse gehabt. Die "schulmedizinische" Ausbildung zur Vorbereitung auf die Heilpraktiker-Überprüfung sei zwar gut gewesen. Aber der naturheilkundliche Teil sei von esoterischem Missionierungseifer, wissenschaftsfeindlichem und verschwörungstheorethischem Denken geprägt gewesen und habe Impfängste geschürt. Schließlich distanzierte sie sich von ihrem ehemaligen Berufswunsch und veröffentlichte einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über ihre Erfahrungen. Dem folgte rasch das Angebot eines Verlags, ein ganzes Buch zu dem Thema zu schreiben.

Zunächst klärt die Autorin auf über das Heilpraktiker-Gesetz und die Anforderungen der Gesundheitsämter bei der Überprüfung. „Es ist den Gesundheitsämtern egal, welchen Humbug der künftige Heilpraktiker treibt, solange er in der Lage ist, bösartige, hochinfektiöse oder lebensbedrohliche Zustände zu erkennen“. – Anschließend führt sie ein in die Ursprünge des Heilpraktiker-Gesetzes während der Nazi-Zeit. Eine Ausbildung sei schon damals nicht vorgesehen gewesen. Außerdem gebe es bis heute kein Standesrecht, nur eine nicht rechtlich bindende Berufsordnung. Eine Kontrollinstanz in Form einer Kammer fehle.

Heilpraktikerpraxen als Wohlfühlorte?

Für die Beliebtheit von Heilpraktikern führt Anousch Mueller folgende Gründe an: Ihre Praxen seien nett eingerichtete „Wohlfühlorte“, die Therapeuten seien gute Zuhörer und talentierte Erzähler. Ihre Erfolgsformel könnte lauten „Magie statt Technokratie“. Patienten mit Beschwerden, aber ohne ärztliche Diagnose, würden sich gut aufgehoben fühlen. Befragung und Berührung gebe ihnen ein gutes Gefühl. Letztendlich wirke bei allen Therapien von Heilpraktikern der Placeboeffekt. Befördert werde der Effekt von den oft zu großen Versprechungen der Heilpraktiker, was die Heilung angehe. Im Gegensatz dazu seien Ärzte „schon aus rechtlichen Gründen gezwungen“, zu ihren Patienten ehrlich zu sein.

Mangelnde Kenntnis über Therapieverfahren?

Im Anschluss beleuchtet die Autorin folgende Therapien: TCM, Anthroposophische Medizin, Atemtherapie, Autogenes Training, Ayurveda, Bioresonanztherapie, Chiropraktik, Geistheilung, Homöopathie, Hypnose, Irisdiagnostik, Kinesiologie, Massage, Neuraltherapie, Orthomolekulare Medizin, Progressive Muskelentspannung, Qigong und Tai-Chi, Reiki und Zelltherapien. Besonders viel Raum nimmt in ihren Ausführungen – wer hätte es gedacht! – die Homöopathie ein. Außer Akupunktur (bei einigen Leiden), autogenem Training, Massage, progressiver Muskelentspannung und Tai-Chi lehnt Mueller alle Therapien als wirkungslos ab. Im Falle der Homöopathie gibt sie die von Skeptikern mantraartig wiederholte Phrase wieder, eine Wirksamkeit sei durch „keine einzige seriöse Studie“ belegt.

Zulassungsbedingungen verschärfen

Zum Schutz der Patienten fordert Mueller eine Neuregelung der Zulassungsbedingungen (u.a. Abitur und vorangegangene dreijährige Ausbildung in einem Gesundheitsberuf) und liefert Vorschläge für einen „zeitgemäßen Heilbehandlerberuf“. Völlig abschaffen will sie den Heilpraktiker nicht, schon wegen des grundgesetzlich garantierten Rechts auf freie Berufsausübung. Außerdem räumt sie ein, dass durch ein Verbot für die Patienten eine therapeutische Versorgungslücke entstehen würde. Allerdings sollten in der Ausbildung die Möglichkeiten und auch die Grenzen der sog. Alternativmedizin gelehrt werden. 
Eine weitere Forderung: Pflichtpraktika in Arztpraxen oder Krankenhäusern.

„Genesungsbegleiter“ mit eingeschränktem Therapiefenster

Bei einer Reform des Heilpraktiker-Gesetzes sollten die bestehenden Heilpraktiker Bestandsschutz erhalten. Künftige Heilpraktiker sollten dagegen nur noch auf Weisung eines Arztes tätig werden, „Diagnostik und Therapie ist Sache von Medizinern“. Als „Genesungsbegleiter“ könnten sie das tun, wozu dem Arzt die Zeit fehle, nämlich das „körperliche und seelische Wohlbefinden“ der Patienten stärken. Außerdem dürfte der von der Autorin angedachte neue Heilpraktiker nur solche alternativmedizinischen Therapien ausüben, die sich – zumindest für bestimmte Indikationen - als wirksam herausgestellt hätten: Alexandertechnik, Akupunktur, Autogenes Training, Biofeedback, Feldenkrais, Hypnose, Mikrobiologische Therapie, Massage, Meditation, Musiktherapie, progressive Muskelentspannung, Qigong, Tai-Chi und Yoga! Homöopathie dagegen, die auch von unzähligen Ärzten praktiziert wird, dürfte von Heilpraktikern, wenn es nach Anousch Mueller geht, nicht mehr angeboten werden, da sie ja unwirksam sei.

Fazit

Einige Kritikpunkte, die Mueller in ihrem Buch anführt, sind nicht von der Hand zu weisen. So würde dem Berufsstand zum Beispiel eine einheitliche, geregelte Ausbildung mit anschließenden Praktika sicher nicht schaden. Um den Bestand des Heilpraktikerberufs auf Dauer zu schützen, werden sich die Heilpraktikerverbände in den kommenden Jahren gemeinsam um eine solche Regelung bemühen müssen. Auch für die Aus- und Fortbildung innerhalb der einzelnen Therapieformen wären gewisse Standards wünschenswert. Ich persönlich wollte auch nicht, dass ein Chiropraktiker an meiner Halswirbelsäule manipuliert, dessen zertifiziertes Können auf einer achttägigen Ausbildung beruht. 

Allerdings geht die Autorin auch an vielen Stellen zu weit in ihrer Kritik. Zum Beispiel wenn sie behauptet, die Patienten würden über die Wirksamkeit der angewendeten Verfahren getäuscht. Schon jetzt sind Heilpraktiker aufgrund des Heilmittelwerbegesetzes dazu verpflichtet, ihre Patienten über die (mangelnden) wissenschaftlichen Nachweise der von ihnen angebotenen Therapien aufzuklären. Heilungsversprechen sind Heilpraktikern durch dieses Gesetz ebenso verboten wie Ärzten und werden von seriösen Heilpraktikern auch ebenso gemieden.

Außerdem erwecken Muellers Ausführungen über fehlende Aus- und Fortbildungsvorschriften beim Leser den falschen Eindruck, dass Heilpraktiker nicht für Behandlungsfehler zur Rechenschaft gezogen werden könnten, als genössen sie so etwas wie Narrenfreiheit. Das ist jedoch ganz und gar nicht der Fall. Ein zentraler Punkt, auf den in jeder Heilpraktikerausbildung immer wieder hingewiesen wird, ist die Sorgfaltspflicht. Sie besagt, dass sich Heilpraktiker stets ihrer Fähigkeiten und der Grenzen ihres Wissens und Könnens bewusst sein müssen und ihr diagnostisches und therapeutisches Handeln sich an diesen Grenzen zu orientieren hat. 

Von fehlerhaftem Hintergrundwissen und oberflächlicher Recherche zeugt Muellers Ansicht über die Wirksamkeit der Homöopathie. (Was ihre Einschätzung der anderen Therapieformen angeht, kann ich aufgrund mangelnder Kenntnisse nicht beurteilen.) Als Quellen ihrer Ausführungen dienen ihr die Homöopathie-Kritiker Edzard Ernst und Natalie Grams. Dabei hätte zum Beispiel ein Blick in die Studienübersicht des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) genügt, um Belege für die Wirksamkeit der Homöopathie zu finden.

Auch die Darstellung der Autorin, dass „fast jeder Heilpraktiker“ die Homöopathie anbiete, ist zu kritisieren. Denn hierbei lässt sie außer Acht, dass zwar viele Heilpraktiker homöopathische Mittel nach bewährten Indikationen oder Komplexmittel verschreiben, aber nur ein geringer Anteil der fast 35 000 Heilpraktiker über eine mehrjährige Ausbildung in klassischer Homöopathie verfügt. 

Anousch Mueller, Unheilpraktiker – Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen, Riemann Verlag, € 16,99

HP Dr. Birgit Weyel

Teilen auf FacebookTeilen auf Twitter