Historische Perspektiven auf Entstehung und Folgen des Heilpraktikergesetzes von 1939
Historische Perspektiven auf Entstehung und Folgen des Heilpraktikergesetzes von 1939
Unter diesem Titel fand am 03.12.2024 ein Symposium im altehrwürdigen Hörsaal des Medizinhistorischen Museums der Charité in Berlin statt. Schirmherr war Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und Kampf gegen den Antisemitismus.
Zur Vorgeschichte: Dr. Felix Klein war in der Vergangenheit mehrmals mit Äußerungen in die Öffentlichkeit getreten, die den Heilpraktiker in die Nähe von rechtsextremer Gesinnung, Corona-Leugnern und Impfgegnern brachte. So hatte der VKHD bereits im Jahr 2020 entsprechend protestiert, worauf Herr Dr. Klein uns zusicherte, „keine Pauschalierungen gegenüber allen Heilpraktiker*innen“ beabsichtigt zu haben und er derartige Eindrücke, sofern sie entstanden sein sollten, ausdrücklich „bedaure“. Was ihn aber nicht davon abhielt, auch in den Folgejahren mit ähnlichen Anschuldigungen fortzufahren. Auf eine Anfrage etwa von Ursula Hilpert-Mühlig (FDH e.V. und DDH e.V.) zu seinen diesjährigen Äußerungen hatten Herr Klein und auch das Ministerium nicht mehr reagiert.
Ich beschränke mich im Folgenden auf die Beiträge, die einen unmittelbaren Bezug auf das Thema der Veranstaltung hatten.
Herr Dr. Klein eröffnete die Veranstaltung und wies auf die Entstehungszeit des Gesetzes unter dem menschenverachtenden nationalsozialistischen Regime hin, die er in diesem Symposium beleuchten wollte. Der Zugang zum Heilpraktikerberuf wurde damit an willkürliche Bedingungen geknüpft und das Gesetz hatte langfristig das Aussterben des Berufes zum Ziel. Nach dem Ende der Nazi-Zeit blieb das Gesetz erhalten und wurde nicht in ein Artikelgesetz der Bundesrepublik überführt. Das Gesetz ist seiner Meinung nach lückenhaft und bedarf einer dringenden Modernisierung, auch im Hinblick auf den Patientenschutz. Es ermögliche keine klare Abgrenzung des Berufes bei der Ausübung der Heilkunde, und auch die Ausbildung sei nicht reguliert. Zusammenfassend sieht Herr Dr. Klein aufgrund der Entstehungsgeschichte des Heilpraktikergesetzes die dringende Notwendigkeit, ein neues Gesetz zu schaffen.
Dr. Pierre Pfütsch von der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart, beleuchtete die Fragen, wie die Nationalsozialisten zum Heilpraktiker standen, welche Strategien sie mit dem Gesetz verfolgten und umsetzten, und wie sich die Heilpraktiker unter der NS-Regierung verhielten. Interessant war die Tatsache, dass die Nazis nach einer anfänglich positiven Haltung zum Heilpraktiker, diese im Laufe der Jahre drastisch änderten. Vielleicht entstand dieser Sinneswandel auf Druck der Ärzteschaft. Die anfänglich positive Haltung ist womöglich auf den Bedarf an medizinischer Versorgung zurückzuführen, der durch das Berufsverbot für jüdische Ärzte entstanden war. Heilpraktiker arbeiteten kostengünstig und konnten Versorgungslücken füllen. Außerdem waren sie in der Prävention bewandert und hatten einen guten Zugang zur Bevölkerung. Diesen nutzten die Machthaber für ihre Zwecke, und da die Heilpraktiker in einem Zwangsverband zusammengeführt wurden, der kammerähnliche Strukturen aufwies, waren sie gut steuerbar. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass es schon lange vor der NS-Zeit Heilpraktiker gab – wobei bis 1939 auch andere Berufsbezeichnungen erlaubt waren – die ohne Approbation Menschen behandeln durften (Kurierfreiheit). Das Heilpraktikergesetz von 1939 hat den Beruf in einer neuen Form organisiert und zugleich die Kurierfreiheit aufgehoben.
Ursula Hilpert-Mühlig vom FDH blickte in ihrem Beitrag auf 85 Jahre Heilpraktikergesetz aus der Sicht des Berufsstands zurück. Neben den historischen Fakten zeigte sie aber auch die Belastungen auf, die dieses Gesetz für den Berufsstand bedeuten. Die Folgen der hinterhältigen Vorgehensweise des damaligen Regimes, den Heilpraktiker erst aufzuwerten, um ihn dann abzuschaffen, hielten bis heute an. Sobald das Thema Heilpraktiker im öffentlichen Raum auftaucht, hätten viele Kolleg*innen gleich den Gedanken, dass der Beruf jetzt abgeschafft wird. Wieso sollten sich die Heilpraktiker also heute zu einem System bekennen, das sie eigentlich abschaffen wollte? Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und der daraus folgenden höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde der Zugang zum Heilpraktikerberuf wieder geöffnet und das Gesetz in einen demokratischen Rahmen überführt. Das Heilpraktikergesetz ist ein Berufszulassungsgesetz, das weitreichende therapeutische Freiheiten gewährt, aber einen klaren rechtlichen Rahmen vorgibt.
PD Dr. Florian G. Mildenberger bezog sich neben den von Dr. Pfütsch bereits benannten Fakten insbesondere auf die homöopathisch tätigen Heilpraktiker und deren Tauglichkeit für die NS-Ideologie. Auch er beschrieb, dass es nach einer anfänglich wohlwollenden Phase, eher zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Heilpraktiker kam. Besonders die Homöopathie war den Nazis suspekt, da die dieser Behandlungsmethode innewohnende Individualität der Behandlung und die Möglichkeit der Selbstmedikation der von Kontroll- und Überwachungzwang geprägten NS-Ideologie entgegenstanden. Dass die Heilpraktiker dieser Zeit etwas Positives zu verdanken hätten, konnte auch er nicht feststellen.
Als letzter Redner stellte Prof. Dr. Christof Stock, der auch das Rechtsgutachten zum Heilpraktikerberuf verfasst hatte, seine Sicht auf das Heilpraktikergesetz dar. Er verwies ebenfalls auf die durch höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgte Weiterentwicklung des Gesetzes. Weiterhin darauf, dass Heilpraktiker durch das BGB und den sich daraus ergebenden gesetzlichen Vorgaben arztähnlichen juristischen Rahmenbedingungen unterliegen. Eine Besonderheit sei die durch die Rechtsprechung geschaffene Teilbarkeit der Berufsausübung. Als erster neuer Berufszweig kam 1999 der „Heilpraktiker, beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“. Weitere, sogenannte sektorale Heilpraktiker, sind in den vergangenen Jahren in gleicher Weise geschaffen worden. Sollte das Heilpraktikergesetz jetzt eine Modernisierung erfahren, hätte dies auch auf andere Gesundheitsberufe eine Auswirkung, da einzig in diesem Gesetz der Begriff der Heilkunde verwendet wird.
Mein Fazit:
Mein Gesamteindruck dieses Symposiums ist für unseren Berufsstand positiv. Es wurde deutlich von den Referentinnen und Referenten zum Ausdruck gebracht, dass das Heilpraktikergesetz von 1939 bereits infolge des entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1952 grundlegend in seiner Funktion geändert wurde, ganz entsprechend dem demokratischen Wandel der jungen Bundesrepublik. Von einem Gesetz, das den Beruf zum langsamen Aussterben führen sollte, zu einem Berufszulassungsgesetz, das große Freiheiten in der therapeutischen Ausgestaltung bietet, aber auch einen rechtlichen Rahmen festlegt. Die Schwäche ist die unregulierte Ausbildung, die aber auf der Grundlage des aktuell gültigen Gesetzes nicht anders geregelt werden kann. Initiativen, diese Situation zu ändern, hatte es aus dem Berufsstand heraus in der Vergangenheit mehrfach gegeben. Zudem ergab sich aus keinem der Vorträge ein Beleg für die von Dr. Klein geäußerte Vermutung einer dem Heilpraktikergesetz immanenten Nähe zu antisemitischen Positionen. Von Dr. Klein, der während aller Vorträge anwesend war, möchten wir daher erwarten, entsprechende Äußerungen in Zukunft überlegter zu formulieren.
Ralf Dissemond, Vorsitzender des VKHD