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Postoperativer Ileus - eine Sache für die Homöopathie

Stefan Reis

Vor gut 20 Jahren erfreute sich die Homöopathie einer großen Beliebtheit. Zu ihrem 200. Geburtstag 1996 gab es zahlreiche (wohlwollende!) Homöopathie-Specials in den Leitmedien, die Deutsche Post adelte Samuel Hahnemann mit einer Sondermarke, Georgos Vithoulkas erhielt den alternativen Nobelpreis und ich besuchte eine wunderbare Ausstellung zur Homöopathie im Deutschen Hygiene-Museum zu Dresden.

Ein Jahr später staunte auch die Wissenschaft nicht schlecht, als die Autor*innen Barnes, Resch und Ernst im renommierten Journal of Clinical Gastroenterology eine Untersuchung1 publizierten und zu folgendem Ergebnis kamen: "Meta-analyses indicated a statistically significant (p < 0.05) weighted mean difference (WMD) in favor of homeopathy (compared with placebo) on the time to first flatus. […] There is evidence that homeopathic treatment can reduce the duration of ileus after abdominal or gynecologic surgery."

Das war eine gute Nachricht, nicht nur für die Homöopathie, die sich bestätigt sehen darf, auch für die Wissenschaft, die dies zum Anlass nehmen sollte, den Wirkmechanismus der Homöopathie näher zu erforschen. Vor allem aber natürlich böte dies auch für die betroffenen Patient*innen Anlass zur Freude, da der postoperative Ileus eine gefürchtete Komplikation vor allem nach gastrointestinalen und gynäkologischen Eingriffen darstellt (dazu mehr am Ende dieses Beitrags).

Edzard Ernst, einer der bissigsten Kritiker der Homöopathie, als Co-Autor an der Metaanalyse von 1997 beteiligt, konstatierte noch 2002: [In] "[…] postoperative ileus […] homeopathy is convincingly [!] effective."2

Kein Wunder also, dass die genannte Metaanalyse ihren Weg in einen von der australischen Gesundheitsbehörde (NHMRC) in Auftrag gegebenen Bericht zur Wirksamkeit der Homöopathie fand, in dem von "ermutigender Evidenz" - übrigens auch bei einigen weiteren klinischen Indikationen - die Rede ist.3 Hinsichtlich der Qualität dieser Arbeit wurde der hohe Evidenzgrad ("level of evidence") 1 vergeben.4

Halten wir an dieser Stelle einmal inne und schauen genauer hin:
Die Studienlage zur Homöopathie ist immer wieder Gegenstand der Kritik. So hat sich in den Leitmedien mittlerweile das Narrativ etabliert, dass es keine (anerkannte, seriöse …) Studie gebe, die eine Wirksamkeit der Homöopathie über einen Plazeboeffekt hinaus belegte. Wohlgemerkt: Es wird nicht etwa moniert, dass es zu wenige oder nicht replizierte Studien gibt, es wird schlicht bestritten, dass Homöopathie überhaupt jemals spezifische Wirkung gezeigt habe.

Wobei man jedoch sehr exklusiv auf etwaige randomisierte Doppelblindstudien (RCTs) schaut, die derzeit in der evidenzbasierten Medizin als Goldstandard gelten, obwohl eigentlich noch einige weitere Parameter zur Bestimmung einer Evidenz herangezogen werden sollten, wie auch der Schöpfer des Begriffs, David Sacket, dies 1996 intendierte.5 Dass eine individualisierende Therapie wie die Homöopathie im Rahmen von RCTs nur schwer zu untersuchen ist und indikationsbezogene Anwendungen in den meisten Fällen scheitern dürften, sei hier nur am Rande erwähnt. Immerhin gibt es in seltenen Fällen aus dem Gebiet der so genannten "bewährten Indikationen" offenbar doch Beispiele für studienfeste Verschreibungen.

Als Beleg für die kategorische Leugnung irgendwelcher Wirkungsnachweise der Homöopathie wird gerne der oben erwähnte Bericht des NHMRC herangezogen, aber nicht die zitierte Version, sondern eine jüngere, überarbeitete, aus dem Jahr 2015. Und in dieser ist tatsächlich von einer Wirksamkeit der Homöopathie etwa bei postoperativem Ileus keine Rede mehr - im Gegenteil lesen wir auf Seite 18:
"Homeopathy is not more effective than placebo for the treatment of these health conditions: […] postoperative ileus (abnormally slow movement of bowel after surgery)".6

Und zur Begründung findet man an gleicher Stelle folgende Anmerkung:
"For each condition, homeopathy was reported to be not more effective than placebo in either:
- all the studies found (regardless of size and quality), or
- a large majority of those studies that were reliable (good-quality, well designed and with enough participants for a meaningful result)."

Da fragt man sich unweigerlich, wie ein solcher Sinneswandel zu erklären ist? Aus der angegebenen Begründung lässt sich ableiten, dass die Bearbeiter offenbar zu dem Schluss kamen, dass in der Metaanalyse von Barnes et al. "eine überwiegende Mehrzahl der [untersuchten] zuverlässigen ('reliable') Studien" gezeigt hätte, dass die Homöopathie nicht besser wirke als ein Plazebo, womit man also die Analyse anders bewertet, als die Autor*innen. "Zuverlässig" wiederum seien Studien, die "von guter Qualität, ordentlich aufgesetzt und mit einer aussagekräftigen Teilnehmerzahl" angestellt wurden.

Um herauszufinden, woran es der Metaanalyse aus 1997 mangeln könnte und weshalb sie doch keinen Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie liefere, werfen wir einen Blick in den so genannten "first report" oder "first draft" des NHMRC (2012):
Ab Seite 125 werden die Ergebnisse der Analyse aufgegriffen und man kommt zum Schluss, in Übereinstimmung mit den Autor*innen der Originalarbeit von einer "encouraging evidence" für die Homöopathie sprechen zu können. In der Folge wird auch die Quellenlage zusammengefasst: so stützt man sich auf die sechs "primary references", die auch von Barnes et al. herangezogen wurden; bei allen handelt es sich um RCT's, also Doppelblindstudien. Sie entsprechen in dieser Hinsicht also hohen wissenschaftlichen Standards. Während sich die Studien zwar alle auf dieselbe klinische Indikation beziehen, wurden sie aber nicht mit identischer Medikation durchgeführt, was einen Vergleich der Effizienz z.B. anhand von Probandenzahlen erschwert. Es wurden verschiedene homöopathische Arzneien in unterschiedlichen Potenzen, als Einzelmittel oder Kombinationspräparat getestet.

Drei der Studien zeigten einen "significant positive effect", eine weitere einen "positive effect" und zwei eine "equivocality" von Homöopathie gegen Plazebo, also keinen Unterschied zwischen Beidem.

Von den drei Studien mit signifikant positivem Effekt wurde die erste mit 206 Patienten durchgeführt und zeigte einen "low risk of bias", was als Qualitätsmerkmal gilt. Die zweite zeigte dasselbe Ergebnis ("low risk of bias") bei 80 untersuchten Patienten, die dritte umfasste 96 Patienten und hatte einen "moderate risk of bias". Die Studie mit "lediglich" positivem Effekt wies einen "high risk of bias" auf, was als abwertendes Kriterium gilt. Bleiben noch zwei, in denen keine bessere Wirkung der homöopathischen Arzneien im Vergleich zu Plazebo gefunden werden konnte; beide hatten einen "low risk of bias", die eine Studie erfolgte mit 600, die andere mit 80 Probanden. Schlussfolgerung: Homöopathie ist wirksam bei postoperativem Ileus.

Nun stellt sich die naheliegende Frage, auf welche Weise und weshalb es zur Eliminierung dieser Metaanalyse kam sowie - und das ist ja noch ein besonderes Topping - zu der Aussage, dass Homöopathie bei postoperativem Ileus nicht besser wirke als ein Plazebo, denn dazu gibt es keine zweite Metaanalyse!

Vermutlich fiel die qualitativ hochwertige Studie mit 80 Teilnehmern und einem signifikant positiven Ergebnis einer nach 2012 eingeführten Richtlinie zur Beurteilung der Qualität von Studien zum Opfer, nach der eine Mindestteilnehmerzahl von 150 Personen für zu berücksichtigende Studien gefordert wurde, während Studien mit weniger Teilnehmern als zu klein eingestuft wurden.7 Diese Grenzziehung ist übrigens willkürlich und in anderen Studien (auch unter peer review) zur Wirksamkeit von Arzneimitteln unüblich … ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Mit "Hilfe" dieses Parameters lassen sich nun einige Studien aus der oben angeführten Metaanalyse herausrechnen. Übrig bleibt dann eine einzige, die zwar genügend Teilnehmer aufweist und ein "low risk of bias" zeigt - die also eigentlich von hoher Qualität ist8 -, die aber angesichts der weniger zuverlässigen Studien sowie derjenigen, die keine Überlegenheit der Homöopathie gegen Plazebo ergaben, verhältnismäßig unterlegen ist, wodurch man zu der Aussage kommt, dass im Falle des postoperativen Ileus "Homöopathie nicht effizienter als Plazebo" zu erkennen war, weil "eine große Mehrzahl an zuverlässigen Studien" dies so gezeigt habe.

Man hat also einen einzigen Parameter für die Beurteilung der Qualität einer Studie geändert, was zur Folge hat, dass sich eine zunächst getroffene Aussage in ihr Gegenteil verkehrt.

Wie es scheint, hat man hier eine Methode gefunden und angewandt, mit der sich unliebsame Daten aus einer Übersicht entfernen ließen - nichts Anderes kann ich aus den vorliegenden und oben angeführten Quellen schließen.

Aber selbst wenn keine "böse Absicht" hinter diesem Vorgehen steckte - die Folge ist nicht nur, dass eine anerkannt qualitativ hochwertige Studie mit eindeutigem Ergebnis auf diese Weise und ohne nachvollziehbare Begründung komplett unter den Tisch fällt und so eine positive Bewertung in eine negative verdreht wird. Auch Patienten werden nun vermutlich nicht von den ermutigenden Ergebnissen profitieren können. Das halte ich geradezu für eine Perversion des oben geschilderten Vorgehens.

Aber, eines ist klar: wäre diese Indikation - der postoperative Darmverschluss - die einzige, zu der sich jemals eine Evidenz zugunsten der Homöopathie gezeigt hätte … wäre das natürlich völlig ausreichend, diese Therapiemethode, dieses therapeutische Prinzip einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

Weiterhin bedeutete das, dass im Falle des postoperativen Ileus die Anwendung der Homöopathie statthaft (und sinnvoll) wäre. Dies wiederum wäre zugleich der Beleg für ihre spezifische Wirksamkeit, und zwar prinzipiell.

Zuletzt stellt sich noch eine ethische Frage: kann man angesichts einer von mir aus auch nur mutmaßlichen Effizienz einer homöopathischen Behandlung wirklich darauf verzichten, sie mindestens als Option mitzuführen? Immerhin gilt im Allgemeinen:
"Ist es zu einem manifesten postoperativen Ileus gekommen, gibt es keine evidenzbasierte Therapie. Keine der im Routinebetrieb angewandten Prokinetika (Neostigmin, Metoclopramid, Erythromycin) oder Laxanzien konnte in Metaanalysen eine verkürzte Zeitdauer des postoperativen Ileus erreichen […]."9

 


Quelle:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9451677 (Abruf 16.10.2019)
https://bpspubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1046/j.1365-2125.2002.01699.x# (Abruf: 17.10.2019) Vollständig lautet das Zitat: "With the exception of postoperative ileus and influenza (see below) there is no condition for which homeopathy is convincingly effective."
https://www.nhmrc.gov.au/sites/default/files/documents/attachments/Draft annotated 2012 homeopathy report.pdf [NHMRC 2012]
Siehe Homeopathy Overview report Appendices (new version), aus dem Oktober 2013, S. 19. Dort wird kommentiert: "There is some evidence to support the administration of a homeopathic remedy immediate after surgery to reduce the duration of ileus." Download unter: https://www.nhmrc.gov.au/about-us/publications/homeopathy#block-views-block-file-attachments-content-block-1Sackett, D. et al.: Evidence based medicine: what it is, and what it isn't. BMJ 312 (1996) 7923: 71-72. Online: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2349778/
https://www.nhmrc.gov.au/sites/default/files/images/nhmrc-information-paper-effectiveness-of-homeopathy.pdf [NHMRC 2015]
NMHRC 2015: "[…] in general any study with less than 150 participants is small […]" (p. 37) "For the purposes of the homeopathy overview, studies were considered to be of sufficient size where N>150 […]." (p. 35)
Aulagnier G.: Action d'un traitement homéopathique sur la reprise du transit post-opératoire. Homéopathie 1985; 6: 42-5
https://www.aerzteblatt.de/archiv/192554/Ileus-beim-Erwachsenen (Abruf: 17.10.2019)


Literatur:

Aulagnier G.: Action d'un traitement homéopathique sur la reprise du transit post-opératoire. Homéopathie 1985; 6: 42-5
Barnes J / Resch KL / Ernst E: Homeopathy for Postoperative Ileus? A Meta-analysis. J Clin Gastroenterol 1997; 25 (4): 628-633
Ernst E: A systematic review of systematic reviews of homeopathy. BJCP 2002; 54 (6): 577-582
Sackett D. et al.: Evidence based medicine: what it is, and what it isn't. BMJ 1996; 312; 7923: 71-72
Vils TO / Stoffels B / Straßburg Ch / Schild HH / Kalff JC: Ileus beim Erwachsenen. Genese, Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 508-18

sowie die zum Download zur Verfügung gestellten Materialien des National Health and Medical Research Council (NHMRC) der australischen Regierung, abrufbar unter:
https://www.nhmrc.gov.au/about-us/publications/homeopathy#block-views-block-file-attachments-content-block-1


Anschrift des Verfassers:

Stefan Reis
Hardenbergstraße 2
45472 Mülheim an der Ruhr
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